München
Millionenstadt ohne Mehrheit

22.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

München (DK) Wer mit wem? Die Frage beschäftigt Münchens Politik seit Wochen. Klar ist zwar, dass Dieter Reiter (SPD) Oberbürgermeister wird. Im Stadtrat bringen die Genossen aber kein Bündnis zustande. Nun wollen sie mit der CSU sprechen. Es gibt aber ein Problem.

Dieter Reiter hat viel versucht. Vor dreieinhalb Wochen haben ihn die Münchner zum Oberbürgermeister gewählt. Seitdem bemüht er sich um eine tragfähige Mehrheit im Stadtrat. Die Koalition aus SPD und Grünen hat ihre Mehrheit verloren. Mit etlichen Kleinparteien haben die SPD und Grüne verhandelt, mindestens einen Partner hätten die beiden bisherigen Regierungsparteien gebraucht. Es fand sich keiner. München – eine Millionenstadt mit ungewisser politischer Zukunft.

Nun drängt die Zeit. Schon am 2. Mai konstituiert sich der neue Stadtrat. Bis dahin sollte wenigstens die Idee für ein mehrheitsfähiges Bündnis geboren sein. In der vergangenen Woche hat Reiter nun dem politischen Hauptgegner – der CSU – Verhandlungen angeboten. Dafür fehlt allerdings noch einer: CSU-Fraktionschef Josef Schmid, Reiters Gegner bei der Oberbürgermeisterwahl, macht mit seiner Familie Urlaub auf Mauritius. „Wir werden die Gesprächseinladung zum Wohle der Stadt annehmen“, lässt Schmid aus seinem Urlaubshotel verlauten. Zurückkehren werde Schmid erst Ende der Woche, sagt ein Sprecher der Münchner CSU. Die Reaktion kann man durchaus als späte Rache an Rot-Grün interpretieren.

Noch am Wahlabend hatten sich Reiter und Grünen-Spitzenkandidatin Sabine Nallinger in den Armen gelegen. Kurz hatte es so ausgesehen, als behielte Rot-Grün die Mehrheit. Zwei Tage später stellte sich das als Irrtum heraus. Die CSU wurde stärkste Fraktion. Aber SPD und Grüne wollten trotzdem weitermachen. Es begann eine wochenlange Suche nach zusätzlichen Partnern.

Die Piraten und eine andere Kleingruppe wollten sich lieber mit der FDP zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenschließen, als mit Rot-Grün zu regieren. Die Linke war Reiter nicht genehm. Es hatte sich herausgestellt, dass einer der beiden Stadträte einer kommunistischen Gruppe angehörte. Der letztmögliche Partner unter den Kleinen war die ÖDP. Aber die brach die Verhandlungen ab. SPD und Grüne wollten ein von den Stadtwerken betriebenes Kohlekraftwerk nicht so schnell vom Netz nehmen wie verlangt.

Nun also die CSU. „Wir werden jeden Tag attraktiver“, hatte Schmid zuletzt gesagt. Einfach dürften die Verhandlungen nicht werden. In der CSU gibt man sich verärgert darüber, dass SPD und Grüne die Partei so lange ignoriert haben. Das dürfte aber auch ein taktisches Mittel sein. Bei einer Zusammenarbeit wollen die Konservativen möglichst viel herausholen. Neben der Verschnupftheit der CSU sind da aber vor allem personelle und inhaltliche Fragen. Die CSU beansprucht den Posten des zweiten Bürgermeisters für sich. Damit wäre die langjährige SPD-Amtsinhaberin Christine Strobl aus dem Rennen, was parteiintern Wunden reißen könnte. Zudem besteht die SPD bisher darauf, die Grünen an einem Bündnis zu beteiligen. Seit einem Vierteljahrhundert regiert Rot-Grün in München. Außerdem hat Reiter seine Wahl zum OB auch den Grünen-Anhängern zu verdanken. Sollten sich CSU und SPD einigen, würde die Partei allerdings für eine Mehrheit eigentlich nicht mehr gebraucht.

Für das Bündnis ist das ein Problem, weil CSU und Grüne vor allem in der Verkehrspolitik über Kreuz liegen. Die Grünen wollen mehr Fahrradwege, die CSU befürchtet Nachteile für Autos und setzt insgesamt auf aufwendige Tunnellösungen. Als Prüfstein gilt ein Projekt an der Rosenheimer Straße. Dort soll eine komplette Autospur auf jeder Seite verschwinden und dafür sollen breite Fahrradwege entstehen. Für die Grünen ist es ein Prestigeprojekt – für die CSU eher ein rotes Tuch. Reiter stellt sich offenbar schon mal auf Konflikte ein. Über die wichtigsten Fragen müsse es Konsens geben, sagt er. „Aber ich muss nicht über jeden Radweg mit jedem einig sein.“

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