München
Mehr Zeit für das Ehrenamt

SPD und Grüne für Freistellungsanspruch für Kommunalpolitiker – CSU und Arbeitgeber dagegen

05.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:35 Uhr

München (DK) Von wegen „nur Ehrenamt“! Marion Reiser, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Lüneburg, hat im Auftrag des bayerischen Landtags untersucht, was ein Stadtrat in einer Kommune von etwas mehr als 100 000 Einwohnern an Arbeitsaufwand im Durchschnitt wöchentlich zu bewältigen hat: „Das summiert sich auf rund 24 Stunden, etwas mehr als die Hälfte ist die reine Sitzungstätigkeit, hinzu kommen noch mal zirka sieben Stunden an Vorbereitungszeit und etwa fünf Stunden für Repräsentationsaufgaben.“

Doch das wollen immer weniger Menschen investieren, die eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle haben. Mit Stechuhr und Konkurrenzdruck und Lieferfristen. Die Folgen: In vielen Großstädten Bayerns überwiegen die Beamten, Pensionäre und Selbstständigen in den Kommunalparlamenten prozentual deutlich – weit mehr, als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. „Fünf von 24 Stadträten“, so berichtet der frühere Füssener Oberbürgermeister und heutige SPD-Landtagsabgeordnete Paul Wengert, seien in seiner Heimatstadt noch „normale“ Arbeitnehmer.

Deshalb wollen Wengert und seine Fraktion mit den Grünen erreichen, dass ehrenamtliche Kommunalpolitiker im Freistaat künftig einen offiziellen Freistellungsanspruch bekommen – so wie in den meisten anderen Bundesländern. Die Vorgesetzten müssten dann einem Arbeitnehmer stets die Wahrnehmung seines Mandats ermöglichen, auch wenn dem betriebliche Erfordernisse entgegenstehen – genau wie etwa bei Feuerwehrleuten. „Gerade junge Leute am Anfang der Laufbahn zögern nämlich sonst mit einer Kandidatur, weil sie nur Nachteile für die Karriere erwarten“, so Katharina Schulze, kommunalpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion.

Kompliziert seien allein schon die Zeiten: Beginnen doch die meisten Stadtratssitzungen am späten Nachmittag oder am frühen Abend, die Sitzungen der Kreistage meist sogar noch früher – also zu Zeiten, in denen man sich in der Regel nicht so einfach vom Schreibtisch oder von der Werkbank verabschieden kann, mal abgesehen davon, dass nicht jeder im Wohnort arbeitet. In kleinen Dörfern mit nur einer Handvoll Gemeinderäten mag man zwar noch eine Regelung finden, mit der alle leben können – aber schon in Kreisstädten und erst recht in Metropolen stößt die Flexibilität an ihre Grenzen.

Der CSU-Fraktion ginge ein Freistellungsanspruch viel zu weit. „Wir sprechen immer wieder von Bürokratieabbau – und dann schaffen wir hier einen neuen Fall, der mit Sicherheit wieder aufwendige Regelungen erfordert und obendrein für Neid bei den Kollegen sorgt“, kritisiert Jörg Kunstmann, der Geschäftsführer der kommunalpolitischen Vereinigung der CSU. Bisher habe man das in Bayern stets im guten Einvernehmen hinbekommen, das solle auch so bleiben.

Auch die Arbeitgeber sind wenig angetan von der Idee. „Gerade für kleine Betriebe kann der regelmäßige Ausfall eines Mitarbeiters schnell zum wirtschaftlichen Risiko werden“, warnt Marcus Hauder, stellvertretender Abteilungsleiter für Sozial- und Arbeitsrecht bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Und Ulrike Augustin, in gleicher Funktion tätig für die Bayerische Industrie- und Handelskammer, ergänzt: „In der Praxis gibt es doch gar keine Probleme. Sonst würde in anderen Bereichen, jenseits der Lokalpolitik, doch nicht die Zahl der Ehrenamtlichen seit Jahren kontinuierlich ansteigen.“