Ingolstadt
"Judenfeindlichkeit ist längst salonfähig"

18.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:10 Uhr

Ingolstadt (DK) Charlotte Knobloch ist seit Jahrzehnten die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Dort engagiert sie sich mit voller Verve gegen Antisemitismus. Mit unserer Zeitung sprach sie über die neuesten Bedrohungen der jüdischen Gemeinde und die Versäumnisse der Politik.

Frau Knobloch, am Sonntag feiert die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern mit einem Bürgerfest ihr 200-jähriges Bestehen. Was bedeutet die Feier für Ihre Gemeinde?

Charlotte Knobloch: Mir ist es sehr wichtig zu zeigen, dass das jüdische Leben in Bayern und München nicht erst 1945 begann, als die Gemeinde wiedergegründet wurde. Juden leben schon seit dem 12. Jahrhundert in Bayern. Graf Montgelas erließ 1813 sein sogenanntes Judenedikt, das die Gründung einer „Cultusgemeinde“ und den Bau einer Synagoge erlaubte. Der Widerstand der Münchner Bürgerschaft war heftig, es vergingen weitere zwei Jahre, bis die jüdische Gemeinde eine staatlich anerkannte Organisationsform bekam. Das war ein entscheidender Schritt, den wir feiern möchten. Auch um den Menschen bewusst zu machen, dass jüdisches Leben hier fest verwurzelt ist, dass Juden in Bayern schon viele Jahrhunderte mit wechselnden Rechten gelebt haben und wesentlich zur Entwicklung dieses Landes beigetragen haben.

 

Wo steht die Gemeinde heute?

Knobloch: Mein gottseliger Vater hat sie mit 60 Überlebenden 1945 wiedergegründet, über die Jahre hat sie sich vergrößert, zunächst durch Überlebende aus Konzentrationslagern, später durch Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion. Heute sind es die Urenkel oder Enkelkinder, die daran mitwirken, die Gemeinde fortzuentwickeln. Da kann man schon sagen, dass das jüdische Leben in Bayern einen so festen Stand hat, wie ich es mir immer gewünscht habe.

 

Wenn Sie auf Ihre 30 Jahre an der IKG-Spitze zurückblicken, worauf sind Sie besonders stolz?

Knobloch: Stolz bin ich auf meine Durchsetzungskraft, an diesem Platz im Herzen der Stadt die Zukunft des Judentums zu festigen. Mit der neuen Synagoge und dem neuen Gemeindezentrum ist der St.-Jakobs-Platz zu einem Treffpunkt für Alt und Jung geworden, für Touristen und Einheimische. Ich freue mich über die nicht endende Nachfrage nach Synagogenführungen und das Interesse am jüdischen Leben. Hier können Menschen sich davon überzeugen, dass die negativen Vorstellungen, die leider noch immer in vielen Köpfen spuken, gar nicht zutreffen.

 

Gibt es etwas, was Sie bereuen?

Knobloch: Was mich sehr belastet, ist die Tatsachse, dass ich es in all den Jahren nicht geschafft habe, die Gefahren, die von Neonazis und der NPD ausgehen, ins Bewusstsein der verantwortlichen Politiker hineinzubekommen. Das ist mir leider viel zu spät gelungen. Wahrscheinlich war ich anfangs zu zurückhaltend, was ich heute nicht mehr bin.

 

Das heißt, Sie haben die Rolle der Mahnerin bewusst gewählt?

Knobloch: Ich habe gesehen: Wenn man sich nicht sehr intensiv mit einem Thema befasst, dann wird das wieder ad acta gelegt.

 

Mahnungen sind unbequem, können nerven. Trifft es Sie, wenn Menschen Sie als nervig empfinden?

Knobloch: Ich werde als Mahnerin dargestellt, was ich eigentlich nicht bin. Das stört mich schon ein bisschen, weil ich gerade gegenüber jungen Menschen stets das Positive betone. Ich ermutige sie, ihre Heimat zu lieben und aufgeklärte Patrioten zu sein – im Wissen, was in der Vergangenheit geschah, aber umso stärker mit Stolz auf die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, die es zu bewahren gilt.

 

Anfang des Jahres gab es eine breite Debatte über Antisemitismus. Hat sie etwas bewirkt?

Knobloch: Die Debatte begann ja nicht erst dieses Jahr, sondern schon mit dem Thema Beschneidung 2012. Das war ein enormer Rückschlag mit Blick auf den Dialog mit der nichtjüdischen Umwelt. Wir wurden als Quäler und Mörder unserer Kinder bezeichnet. Die zweite Thematik war im vergangenen Jahr die Gaza-Debatte, als man durch die Straßen Deutschlands zog und die Juden als Mörder der Palästinenser beschimpfte. Da habe ich zum ersten Mal auch die muslimische Feindschaft gespürt, die die jüdische Bevölkerung sehr geschockt hat. Mit der diesjährigen Antisemitismusdebatte und den Übergriffen auf jüdische Menschen und Synagogen hat das seinen Fortgang genommen.

 

Hat sich die Lage verschlechtert über die Jahre?

Knobloch: Ja! Diese Themen, die wir jetzt besprechen, gab es vor fünf Jahren nicht.

 

Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Knobloch: Auf den zu spät eingesetzten Dialog zwischen Juden und Nichtjuden. Beide Seiten haben da ihren Anteil zu leisten.

 

Lange kam die Bedrohung vor allem von rechts, jetzt kommt die islamistische dazu . . .

Knobloch: Und die linksextreme! Beflügelt vom Nahost-Konflikt. Israel wird als „Jude“ unter den Staaten in den Vordergrund gestellt und man differenziert überhaupt nicht. Bei den Muslimen sind es nicht zuletzt Imame, die etwa aus der Türkei kommen und die jungen Menschen mit vergifteter Propaganda überschütten, sodass diese dann entsprechend denken und handeln.

 

Welche Versäumnisse der Politik sehen Sie?

Knobloch: Dass man die Dinge zwar erkannt hat, aber zu lange nichts unternommen hat. Wenn eine Synagoge mit Brandbomben beworfen wird, kann ich es nicht akzeptieren, dass die Täter ungeschoren davonkommen. Ich will nicht die Gerichte kritisieren, aber vielleicht sollte man die Rechtslage überprüfen. Grundsätzlich gilt: Antisemitismus muss als solcher benannt, geächtet und zumindest gesellschaftlich sanktioniert werden. Judenfeindlichkeit ist längst salonfähig. Zuletzt wurde sie immer enthemmter artikuliert. Dieser Tendenz muss entgegengewirkt werden.

 

Das Interview führte Petr Jerabek.