München
Ideologischer Grabenkampf

Landtag stimmt mit CSU-Mehrheit umstrittener Kompetenzausweitung des Verfassungsschutzes zu

07.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:34 Uhr

München (DK) Überwachung von Kindern, Zugriff auf Vorratsdaten, Stärkung der V-Leute-Praxis: Der Landtag gewährt dem Landesverfassungsschutz deutlich mehr Kompetenzen. Das Gesetz könnte vor Gericht landen.

Einen solch ideologisch geprägten Schlagabtausch hat der Landtag lange nicht erlebt: Links gegen rechts, Freiheit gegen Sicherheit, Datenschutz gegen Menschenschutz - SPD und Grüne gegen die CSU (mit vorsichtiger Unterstützung der Freien Wähler).

Bei der Verabschiedung des neuen bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, das die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) auf eine neue Grundlage stellt, sind gestern klassische Konfliktlinien deutlich zutage getreten. Das Gesetz gehe an die Grenze dessen, was im Rechtsstaat und vom Bundesverfassungsgericht erlaubt ist, gab Innenminister Jochim Herrmann (CSU) zu, ergänzte aber sofort: "Aber es ist zum Schutze der Freiheit der Menschen in unserem Land dringend geboten."

Zuvor hatten SPD und Grüne den CSU-Entwurf massiv kritisiert, weil er deutliche Ausweitungen der Befugnisse des Landesamtes vorsieht. Rot-Grün sieht in vielen Punkten eine Vermischung polizeilicher und geheimdienstlicher Aufgaben.

Besonders umstritten ist das Recht des LfV, künftig auf die Daten der Vorratsdatenspeicherung zuzugreifen. Diese Befugnisse sind bundesweit einmalig. Für Herrmann kein Problem, sondern vielmehr ein Vorbild: Dies sei ein Signal an den Bund und andere Länder, sich dem anzuschließen. SPD-Rechtsexperte Franz Schindler betonte dagegen, dass der Verfassungsschutz im Gegensatz zur Polizei keine Gefahrenabwehrbehörde sei, sondern allenfalls eine Gefahrenaufklärungsbehörde. Auch darin, dass die Beobachtung von organisierter Kriminalität künftig zu den Aufgaben des Landesamtes zählen soll, sieht Schindler eine Kompetenzüberschreitung. Das sei die Aufgabe von Landeskriminalämtern und Bundeskriminalamt. So komme es wieder dazu, "dass mehrere Behörden parallel am gleichen Phänomen arbeiten, sich nicht abstimmen, eifersüchtig aufeinander sind und keiner mehr weiß, wer wofür zuständig ist", sagte er.

Für Empörung sorgte zudem die Tatsache, dass der Verfassungsschutz künftig auch Daten über Kinder ab der Geburt sammeln darf. "Minderjährige genießen besonderen Schutz", betonte Grünen-Innenexpertin Katharina Schulze. Innenminister Herrmann platzte bei diesem Thema der Kragen: "Wenn Sie dafür sorgen, dass keiner unter 16 was Böses tut in unserem Land, dann brauchen wir uns damit auch nicht beschäftigen", brüllte er in Richtung der Oppositionsreihen. Er verwies auf eine Jugendliche aus Hannover, die mit 15 Jahren einen Polizisten mit einem Messer attackiert hatte, nachdem sie bereits als Kind islamistisch radikalisiert worden war.

Auch die ausdrückliche Erlaubnis für den Einsatz krimineller V-Leute ist den Grünen ein Dorn im Auge. Nur verurteilte Mörder und Totschläger seien ausgeschlossen, kritisierte Schulze. Dass die parlamentarische Kontrolle des LfV durch das Gesetz geschwächt werde, zeige, dass die CSU aus den Geheimdienstskandalen um NSU und NSA nichts gelernt habe.

Die Freien Wähler (FW) sind dagegen im Großen und Ganzen einverstanden mit den neuen Befugnissen des LfV. Lediglich mit einem Punkt zeigte sich der innenpolitische Sprecher Joachim Hanisch unzufrieden: Berufsgeheimnisträger wie Anwälte, Ärzte, Apotheker oder Journalisten würden durch den CSU-Vorschlag unterschiedlich stark geschützt. Das sei nicht praxistauglich. "Die Menschen haben Vertrauen zu den Berufsgeheimnisträgern, das sollte von staatlicher Seite auch unterstützt werden", forderte er.

Geprägt war die Landtagsdebatte von gegenseitigen Ideologievorwürfen. CSU-Innenpolitiker Hans Reichhart warf der SPD vor, Islamisten und Linksextreme bei ihren Forderungen außen vor zu lassen. SPD und Grüne kritisierten wiederum, dass die CSU Rechtsextremismus missachte und diese Thematik auch nach der Terrorserie des NSU nicht ernst nehme.

Verhindern konnten die zahlreichen Konfliktfelder das Gesetz freilich nicht. Mit der CSU-Mehrheit wurde die Novelle bei Enthaltung der FW verabschiedet. Die Grünen wollen nun eine Verfassungsklage prüfen.