München
Mehr Gewalt gegen Zugbegleiter

Delikte wie Bedrohung oder Körperverletzung nahmen in den vergangenen zwei Jahren um 44 Prozent zu

26.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:09 Uhr

München (DK) Mirko Weigert und Josef Brummer, die ihre echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchten, sind beide als Zugbegleiter unterwegs auf der Strecke von München nach Nürnberg - mitunter auch noch darüber hinaus. Natürlich gibt es Zeiten, wo man mit lauteren, aggressiveren Fahrgästen rechnen muss, berichtet Weigert. "Die zwei Wochen während des Münchner Oktoberfests ist das ganz normal." Und sein Kollege Brummer ergänzt: "Und auch nach manchen Fußballspielen sind die Anhänger der unterlegenen Mannschaft meist mit Vorsicht zu genießen."

Doch nimmt die Gewaltbereitschaft generell zu. "Früher haben sich Leute geschämt, wenn sie schwarzgefahren sind, heute fangen sie an zu pöbeln", berichten die beiden. Und wenn mancher Flegel gedrängt wird, seine schmutzigen Schuhe vom gegenüberliegenden Sitz herunterzunehmen, dann gäbe es schon mal Gewaltandrohungen. Geschlagen worden seien sie aber von einem rabiaten Fahrgast noch nicht, versichern Weigert und Brummer - hätten Selbiges aber bereits von Kollegen gehört.

Das wundert nicht, denn die Gewalt gegen Zugbegleiter ist in Bayern in den vergangenen zwei Jahren um 44 Prozent gestiegen. Das geht aus einer Antwort des bayerischen Innen- und Verkehrsministeriums auf eine aktuelle Anfrage des Landtagsabgeordneten Markus Ganserer (Grüne) hervor. Gab es 2015 landesweit noch 487 entsprechende Fälle, so seien heuer bereits mehr als 700 registriert worden, heißt es aus dem Haus von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU). Die Polizei-Fallstatistik weist für die Bahn vor allem Delikte wie Körperverletzung, Bedrohung und Raub aus.

Die Beamten versuchen zu relativieren: Es bestünden keine "signifikanten Probleme im Vergleich mit anderen Bundesländern", so der weitere Text in der schriftlichen Antwort an Markus Ganserer. Der Grünen-Abgeordnete hatte darüber hinaus noch wissen wollen, ob es besonders gefährliche Strecken innerhalb des Freistaats gäbe. Antwort der Ministerialen: nein. Die Bayerische Eisenbahngesellschaft scheint das aber etwas anders zu sehen, denn auf der extrem stark frequentierten Strecke von Aschaffenburg nach Frankfurt - neben Berlin die deutsche Kriminalitätshochburg - wurde das Personal bereits verstärkt.

Mindestquoten an zur Verfügung stehenden Zugbegleitern gäbe es allerdings schon in allen Regionalnetzen - freilich immer orientiert an den "betrieblichen Erfordernissen" sowie den "Serviceaspekten" der Deutschen Bahn. "Die derzeitigen Quoten liegen zwischen 25 und 100, auf einigen Linien auch bei 200 Prozent", heißt es dazu aus dem Innenministerium. Das klingt zunächst gut, bedeutet aber praktisch: Manchmal ist nur jeder vierte Zug mit einem Zugbegleiter besetzt - keine schöne Aussicht etwa für allein reisende Frauen. Und auch 100 Prozent, also ein Begleiter, dürfte bei einer auf Krawall gebürsteten Horde ernste Probleme bekommen.

Dass es zu mehr Zwischenfällen kommt, liegt auch an einer wachsenden Auslastung der Züge, bedingt durch den kontinuierlichen Zuzug nach Bayern. Oft sind sie proppenvoll. Dass deshalb 25 Prozent auf Dauer zu wenig sein können, haben auch die Beamten im Innenministerium so erkannt. Auf einigen bayerischen Netzen wird jetzt eine verbindliche Quote von wenigstens 50 Prozent vorgeschrieben. Angebracht ist eine Begleitung natürlich vor allem in den Abendstunden oder an Feiertagen, wochentags zur Mittagszeit schaut es erfahrungsgemäß ruhiger aus.

Auch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen sind vorgesehen: also Videoüberwachung, Notrufsprechtasten und Diensthandys für die Zugbegleiter. In den S-Bahnen der Metropolen München und Nürnberg soll speziell ausgebildetes Sicherheitspersonal mitfahren, außerdem halten Bahn und Freistaat an ihrer Vereinbarung fest, dass Polizisten in Uniform weiterhin kostenlos reisen dürfen - um im Notfall dem Zugbegleiter beizustehen.

Mirko Weigert und Josef Brummer würden sich unabhängig davon aber auch ein klein wenig mehr Zivilcourage von den anderen Fahrgästen wünschen. "Wir verlangen sicher nicht, dass sich jemand mit einem betrunkenen Krakeeler anlegt. Aber wenn unsereiner bedroht wird und das ganze Abteil schaut nur gelangweilt weg - das enttäuscht."