München
Allein im Palast

Bayerns Justizministerin Beate Merk ist einst steil aufgestiegen - Der Fall Gustl Mollath hat sie jetzt in arge Bedrängnis gebracht

22.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:21 Uhr

München (DK) Wuchtig, fast unzugänglich erscheint der Münchner Justizpalast von außen. Hinter der bewachten Sicherheitsschleuse am Eingang führen mächtige Steintreppen mit gusseisernen Geländern nach oben. Vorbei an dicken Marmorsäulen, vorbei an der Statue des Prinzregenten Luitpold, bis ins oberste Stockwerk. Dort hat Justizministerin Beate Merk ihr Büro.

Die Ministerin sitzt in einem Ledersessel, hält eine Tasse Tee in beiden Händen, lehnt sich zurück. Die erste Welle der Empörung im Fall des vermeintlichen Justizopfers Gustl Mollath hat sie überstanden. Gerade hat die Staatsanwaltschaft Regensburg die Wiederaufnahme beantragt. Merk hat die Anweisung dazugegeben. „Wo ich eingreifen konnte, habe ich es getan“, sagt sie. Alles wieder im Griff – so scheint es.

Die Vorwürfe im vergangenen Jahr waren heftig: Lüge, Vertuschung, verkorkstes Krisenmanagement. Die Freien Wähler forderten Merks Rücktritt, die Grünen ihre Entlassung. Bundesweit gab es Empörung. Seit sieben Jahren sitzt der Nürnberger Mollath in der Psychiatrie. Weil die Justiz verhindern wollte, dass er einen Schwarzgeldskandal aufdeckt, meint er. Weil er psychisch krank und gefährlich ist, meint die Justiz. Merk machte sich diese Einschätzung lange zu eigen.

2006 sah es das Landgericht Nürnberg als erwiesen an, dass Mollath seine Frau misshandelt und in ihrem Umfeld Autoreifen zerstochen hatte. Er wurde allerdings von einem Gutachter für unzurechnungsfähig erklärt. Als Indiz dafür gab der Gutachter auch Schwarzgeldvorwürfe an, die Mollath gegen seine Ex-Frau und andere frühere Mitarbeiter der HypoVereinsbank (HVB) erhob. Die Staatsanwaltschaft ging den Vorwürfen aber nicht nach. Im vergangenen Jahr wurde dann ein interner Prüfbericht der HVB öffentlich, der Mollath weitgehend recht gab. „Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt“, heißt es darin.

Auf einmal stand die Justiz im Zwielicht. Und mit ihr die Justizministerin. Sie hatte noch wenige Monate zuvor behauptet, der Bericht habe die Vorwürfe Mollaths „gerade nicht“ bestätigt. Weil sie diesen brisanten Satz nicht gekannt habe, sagt sie heute. Erst als weitere Ungereimtheiten auftauchten, die Geschichte immer merkwürdiger wurde, griff sie ein.

Die Ministerin hat die Beine übereinandergeschlagen, umklammert ihre dampfende Tasse. „Die unsachlichen Angriffe mancher Politiker haben mich überrascht. Das fand ich brutal“, sagt sie. Es war der Tiefpunkt in einer Karriere, die lange steil nach oben gegangen war.

Seit zehn Jahren ist die 55-Jährige Justizministerin. Sie ist das dienstälteste Kabinettsmitglied. Zehn Jahre lang ist sie auch schon stellvertretende CSU-Vorsitzende. Dabei ist sie nicht einmal gebürtige Bayerin. Merk wuchs in Göppingen (Baden-Württemberg) auf. Erst nach dem Abitur kam sie zum Jurastudium nach München. Später fing sie im Innenministerium an, dann eine Station im Landratsamt Neu-Ulm. Ein wichtiger Wendepunkt.

Als die CSU in Neu-Ulm Mitte der neunziger Jahre einen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl suchte – Merk war da schon wieder in München – erinnerte sich ihr ehemaliger Chef an sie.

Franz Josef Schick (CSU) sitzt in seinem Arbeitszimmer in Nersingen, (Kreis Neu-Ulm). Hinter dem Haus hat er einen eigenen Forellenteich. Schick, kräftige Hände, grüne Cordhose, war mehr als 20 Jahre lang Landrat in Neu-Ulm. Er überzeugte die örtliche CSU damals, Merk aufzustellen. „Sie konnte gut mit dem Publikum umgehen“, sagt er. Merk trat an – und gewann mit wenigen Stimmen Vorsprung. 2002 wiederholte sie den Wahlsieg. Diesmal mit großer Mehrheit.

Auch andere Leute, die Beate Merk aus ihrer Zeit als Oberbürgermeisterin kennen, loben sie. Kompetent, unkompliziert, zupackend – das sind so die Dinge, die über sie erzählt werden. Der damalige Neu-Ulmer CSU-Abgeordnete und Bundesfinanzminister Theo Waigel fand Gefallen an ihr. Kurz nach ihrer Wiederwahl machte Edmund Stoiber sie zur Justizministerin. Die CSU konnte neue, weibliche Gesichter gebrauchen. Fast zeitgleich wurde sie stellvertretende Parteichefin – ein rasanter Aufstieg.

Das Verhältnis ist abgekühlt. Bei ihrer letzten Wiederwahl 2011 bekam sie nur etwas mehr als 60 Prozent der Stimmen – und das ohne Gegenkandidaten. Sie arbeite zu abgeschottet, sei trotz ihrer Spitzenposition zu wenig präsent in der Partei, heißt es. Eine „Einzelgängerin“, zu sehr Fachpolitikerin, zu wenig Kämpferin fürs große Ganze.

Vielleicht liegt es auch an dem Amt, das sie als promovierte Juristin besonders korrekt und beflissen ausfüllen möchte. Vielleicht auch ein wenig an dem wuchtigen Gebäude und dem selbstbewussten Justizapparat, der missliebige Minister auch kaltstellen kann. „Als Justizministerin kann ich nicht so sprechen, wie ein Privatmann sprechen kann“, sagt sie etwa zum Fall Mollath. Sie dürfe eine Gerichtsentscheidung nicht zerpflücken, ja nicht einmal erklären – „selbst das wäre schon zu viel“. Man fragt sich dann, wie zum Beispiel der promovierte Jurist Markus Söder den Fall behandelt hätte.

Manchmal versucht sie, die Seele der Partei zu streicheln. Etwa wenn sie schärfere Jugendstrafen fordert oder sich für die Überwachung von Telekommunikationsdaten stark macht. Als der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa 2010 die sexuelle Revolution für den Kindesmissbrauch verantwortlich machte, dankte sie ihm für die „klare Stellungnahme“.

Selbst in der CSU nimmt ihr mancher das nicht so richtig ab. Franz Josef Schick hat sie als „sehr liberal“ in Erinnerung. Und nicht immer münden kantige Äußerungen in konkrete Initiativen. „Sie irrlichtert da ein bisschen“, sagt einer, der sie aus dem Kabinett kennt.

Es gibt eine Anekdote über Beate Merk, die seit Jahren erzählt und geschrieben wird. Es heißt, sie ginge gerne in Cocktailbars. Merk sitzt auf ihrem Ledersessel, zieht die Augenbrauen hoch. Sie wisse nicht, wann sie das letzte Mal in einer Cocktailbar gewesen sei, sagt sie. „Cocktailbars sind gar nicht mein Ding.“ Schön, dass man das jetzt auch mal erfährt.

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