Missbrauch einer geistig Behinderten: Achteinhalb Jahre Haft für 52-Jährigen

26.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr
Der Angeklagte Stefan A. aus dem Pfaffenhofener Raum wird am Landgericht München II vorgeführt. Er ist vor der 1. Strafkammer des schweren sexuellen Missbrauchs einer schwerstbehinderten und widerstandsunfähigen Frau angeklagt und soll sie geschwängert haben. −Foto: Richter

München/Pfaffenhofen (DK) Der Prozess ging überraschend bereits am ersten Tag zu Ende: Ein 52 Jahre alter Pfleger aus dem Raum Pfaffenhofen ist vom Landgericht München II am Donnerstagnachmittag zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er war angeklagt, eine 28 Jahre alte Frau mit schwerster geistiger Behinderung missbraucht und geschwängert zu haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Leugnen hätte wohl wenig gebracht, außer das auf drei Verhandlungstage festgelegte Verfahren vor der 1. Strafkammer in die Länge zu ziehen. Ein Abstammungsgutachten hatte den Pfleger als Vater des Kindes überführt. Wie die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft, soll der über 18 Jahre beim Franziskuswerk Schönbrunn (Kreis Dachau) angestellte Mann „zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im August 2014 den körperlichen und geistigen Zustand“ des Opfers ausgenutzt haben, um sich an der jungen Frau zu vergehen.

Der 52-Jährige räumte vor Gericht zwar sexuelle Handlungen ein, wollte allerdings nicht mit der 28-Jährigen geschlafen haben, wie ihm zum Vorwurf gemacht wurde. Er habe sich vielmehr hinter dem Opfer, als es nach der Körperpflege nackt mit dem Rücken zu ihm stand, selbst befriedigt; dabei sei Sperma in ihren Genitalbereich gelangt, ließ er über seinen Verteidiger erklären. Er habe die Frau dabei in keiner Weise sexuell berührt, sie habe von der Sache auch gar nichts mitbekommen. „Ich habe keine Erklärung, warum ich mich habe so gehen lassen“, sagte der Pfleger, der als Kind zeitweise in Neuburg lebte und seinen Zivildienst am Ingolstädter Klinikum ableistete. „Ich schäme mich für mein Verhalten.“ Die Vaterschaft habe er anerkannt.

Der medizinische Sachverständige Wolfgang Eisenmenger nannte die Erklärung bezüglich der Zeugung des Kindes „sehr vage“. Dass eine Frau auf die geschilderte Weise schwanger werde, sei wohl „eher unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Von der Anatomie her ist das ganz schwer nachzuvollziehen.“

Staatsanwalt Florian Burkhardt hielt in seinem Schlusswort die Einlassungen des Angeklagten für Schutzbehauptungen und zeigte sich "felsenfest davon überzeugt, dass das Geschehen so stattgefunden hat, wie in der Anklage beschrieben". Er forderte zwölf Jahre Freiheitsentzug. Die Nebenklagevertreterin schloss sich an und wollte den Mann sogar für 13 Jahre hinter Gittern sehen. Verteidiger Ekkehard Dehn konterte, dass die beiden sich "darin gefallen, Märchen zu erzählen" und ging von der Version seines Mandanten aus. Er und seine Verteidigerkollegin Birgit Schwerdt (München) forderten "eine Strafe, die eine Bewährung möglich macht", also maximal zwei Jahre.

Das Gericht verhängte nach kurzer Beratung achteinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs eine Widerstandsunfähigen. Vorsitzender Richter Martin Rieder sprach von "einem realitätsfremden und abwegigen Szenario", das der Angeklagte vorgebracht habe. "Die Kammer geht davon aus, dass sich hier nicht ein paar Spermien verirrt haben, sondern dass ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat." Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung kündigte an, in Revision gehen zu wollen, der Staatsanwalt wollte dazu am Donnerstag kein Statement abgeben.

Der Pfleger war vergangenen Oktober auf eigenen Wunsch aus dem Pflegedienst im Franziskuswerk ausgeschieden. Im Februar war die Schwangerschaft aufgefallen, am 27. Mai brachte die Frau einen gesunden Buben zur Welt. Der Säugling wurde zur Adoption freigegeben. Die 28-Jährige leidet an einer massiven Entwicklungsstörung und ist geistig stark zurückgeblieben, bedingt durch eine frühkindliche Hirnentzündung, wie Gutachter Eisenmenger erläuterte. Verbal könne sie sich nicht verständlich machen und kommuniziere im Wesentlichen durch Gesten. Da sie ständiger Betreuung bedarf und die Zahl ihrer Kontaktpersonen begrenzt ist, war der Pfleger rasch als Hauptverdächtiger ermittelt.