Mentor
Abschiebung leicht gemacht

31.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:22 Uhr

Foto: Michael Kraus

Mentor Hajrullahi sitzt auf einer Wiese am Straßenrand und wartet auf den Shuttlebus, der ihn zurück in seine Unterkunft in der Nähe vom Ingolstadt Village bringen wird. Der Albaner hatte einen Termin in der Oberstimmer Kaserne, dort, wo er auch schon drei Monate lang untergebracht war. Seit 17 Monaten sei er inzwischen in Bayern, sagt der 32-Jährige. Sein Sohn sei hier geboren. Aber wenn es nach der Regierung geht, wird er nicht hier aufwachsen. Hajrullahis Bescheid wurde abgelehnt, seine Klage gegen den Bescheid abgewiesen. Seitdem warten er, seine Frau und der Sohn auf den Tag, an dem die Polizei dastehen wird und sie auffordert, sofort mitzukommen.

Für alle Bewohner der Einrichtungen sei das ein nicht nachzuvollziehender Stress, sagt Hajrullahi. Nicht zu wissen: "Kommt die Polizei heute, kommt sie morgen" Da könne er verstehen, wenn andere Flüchtlinge, die keine Familie haben, zum Alkohol griffen und in den Einrichtungen gewalttätig würden. Arbeiten dürften sie ja auch nicht. "Ich bin nicht wegen Geld da oder Essen. Wenn ich nicht das Problem hätte, wäre ich in Albanien geblieben", sagt Hajrullahi. Sein Problem, das ist die Blutrache, die ihm in der Heimat geschworen wurde. Sagt zumindest Hajrullahi. Nachprüfen kann man die Geschichte nicht. Die deutschen Behörden glaubten sie jedenfalls nicht.

EIN NEUES ZENTRUM

Vor einem Jahr ging das Balkanzentrum - die bayerische Staatsregierung spricht von der Ankunfts- und Rückführungseinrichtung (ARE) I - in Betrieb. Zunächst war von 1500 Asylbewerbern aus den Westbalkanländern die Rede, die auf die ehemalige Oberstimmer Max-Immelmann-Kaserne, die sowohl auf Ingolstädter als auch auf Manchinger Gebiet steht, sowie drei weitere Standorte in Ingolstadt verteilt werden sollten. Bald schon wurde die Zahl nach oben korrigiert, auf insgesamt 2900 Plätze, die aber bis heute nicht vollständig belegt sind. Durch die Unterbringung von Vertretern verschiedener Behörden auf dem Gelände - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Verwaltungsgericht München und die Zentrale Ausländerbehörde - wollte die Regierung von Oberbayern die Verfahren der Asylbewerber, deren Anträge nur geringe Aussicht auf Erfolg haben, beschleunigen. Ein weiteres solches Zentrum der bayerischen Staatsregierung entstand zwei Wochen später in Bamberg.

Es war die Zeit, als immer mehr Flüchtlinge in Deutschland ankamen, auch in der Region suchten die Kommunen händeringend nach immer weiteren möglichen Standorten. Da kam Ingolstadt, dem Markt Manching sowie dem Landkreis Pfaffenhofen das Angebot aus München gerade recht. In einem 14-Punkte-Plan handelten sie unter anderem eine komplette Anrechnung der dort untergebrachten Flüchtlinge auf die Gesamtquote aus, eine Begrenzung der ARE auf zehn Jahre sowie die Möglichkeit, das Gelände im Besitz des Freistaats später kaufen zu können.

WENIGER EHRENAMT

Und so wandelte sich das Bild bald. Statt Schwarzafrikanern, die in der zuvor als Erstaufnahmeeinrichtung genutzten Kaserne sowie der Dependance an der Manchinger Straße untergebracht waren, sah man immer mehr Menschen aus dem Balkan. Vor allem aber innerhalb der Einrichtungen, zu den genannten kommen noch die Dependancen in der Nähe des Ingolstadt Village und am Audi-Kreisel, veränderte sich vieles. Wesentlich waren dabei die veränderten politischen Vorgaben: Integration war nun gar nicht mehr erwünscht. Denn wer nur wenige Wochen im Land ist, muss auch nicht integriert werden, so der Gedanke dahinter. "Man kann ihnen einen Stadtplan geben, aber ihnen unsere Verkehrsregeln zu erklären, ist eigentlich schon zu viel", sagt Gabriele Störkle von der Caritas Pfaffenhofen, die in der Kaserne mit einer Vollzeitstelle Asylbewerber berät.

Die zahlreichen Deutschkurse, die Ehrenamtliche in der Kaserne und ihren Dependancen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gaben, wurden im vergangenen Herbst beendet. Weitere langfristig angelegte Angebote, etwa die Kleiderkammer, waren ebenfalls nicht mehr gewollt. Daraufhin seien auch viele andere Helfer weggeblieben, sagt Störkle. Fahrdienste zum Arzt oder ein Fahrradkurs für Frauen seien so weggefallen. Das einzige, was es momentan gebe, sei ein Qi-Gong-Kurs für Frauen einmal die Woche.

Auch die Caritas-Mitarbeiter stoßen offenbar an ihre Grenzen: Die Ingolstädter Caritas, die dem Kreisverband Eichstätt zugeordnet ist, hat sich zurückgezogen, die Warteschlangen bei den Sprechstunden sind lang. "Wir drehen hohl", sagt Störkle. Denn der Beratungsbedarf sei groß. "Das sind Leute in sehr prekären Verhältnissen." Menschen, die glaubhaft in ihrem Herkunftsland bedroht worden seien, Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren hätten, Kinder, die unter schweren Krankheiten litten.

Und die schnelle Abschiebung entspricht zumindest aus Sicht der Caritas nicht der Realität. In die Beratung kämen auch Asylbewerber mit Einreisestempel 2014, viele seien seit Eröffnung der ARE da und warteten seitdem auf eine Entscheidung, ohne große Hoffnung, ohne in der Zeit arbeiten zu dürfen, mit Schwierigkeiten, die Kinder in der Schule unterzubringen. Auch der bayerische Flüchtlingsrat und andere Organisationen hatten schon mehrfach auf diese Situation hingewiesen.

"Die Beschleunigung der Verfahren ist gelungen", sagt dagegen die Regierung von Oberbayern. Von September 2015 bis Mitte August 2016 seien rund 2600 Asylbewerber in der ARE untergebracht gewesen, im selben Zeitraum hätten 2000 das Land verlassen, ein knappes Viertel durch Abschiebungen, der Rest durch freiwillige Ausreisen. "Eine unterschiedliche Verfahrensdauer entstand im Einzelfall lediglich dadurch, dass Personen mit unterschiedlichen Verfahrensständen in der ARE unterzubringen waren."

VIELE UKRAINER

Seit April gab es einen weiteren Paradigmenwechsel: Wohl durch die rigide Politik kamen schon länger kaum mehr Menschen aus dem Westbalkan nach Bayern, weswegen die ARE auf weitere Herkunftsländer ausgeweitet wurde. Seitdem steigt die Zahl der Ukrainer in der Kaserne und den Dependancen, der Anteil an Albanern und Kosovaren sinkt stetig. Inzwischen gibt es offenbar auch wieder eine Perspektive für Ehrenamtliche. Die Mitarbeit sei wieder erwünscht, sofern sie unter der Regie der Stadt Ingolstadt ablaufe, so die Caritas. Rund 20 Ehrenamtliche habe man gefunden, erklärt Stadtsprecher Michael Klarner. Sie wollen Kinder betreuen oder bei der Freizeitgestaltung mithelfen. Auch Firmen hätten sich gemeldet, die ihre Trainees hinschicken wollen.

Möglicherweise wird auch die Caritas Pfaffenhofen bald ihre Stellen aufstocken, mit Hilfe des Münchner Caritasverbands. Im September werde eine Entscheidung fallen, sagt Störkle. "Ich bin optimistisch, dass wir bald Bescheid wissen."

Trotz insgesamt sinkender Flüchtlingszahlen wird die ARE wohl noch länger bestehen. Die Regierung von Oberbayern erklärt als Ausblick, sie prüfe derzeit noch weitere Maßnahmen "zur bestmöglichen Ausnutzung dieser Bundes-Liegenschaft".