Kontrolle statt Vertrauen

09.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:52 Uhr

Lothar Strehl kümmert sich als Bewährungshelfer in Regensburg auch um die besonders "schweren Jungs". - Foto: Ingenthron

Regensburg (DK) Es hört sich an wie ein Krimi. Doch wenn sich der Fernseh-Zuschauer ausklinkt, fängt für Lothar Strehl die Geschichte erst an. Er ist seit 30 Jahren Bewährungshelfer in Regensburg.

"Über meinen Schreibtisch sind etwa 8000 Jahre Knast gegangen", sagt Strehl lapidar und ein wenig überrascht, wie viele es doch schon sind. Darunter sind leichte Fälle, aber auch die "schweren Jungs". Strehl verlässt jeden Tag die Welt der bürgerlichen Gewissheiten und klinkt sich ein bei den Kriminellen und Schwerverbrechern.

Vor ihm in seinem Büro sitzt Markus Huber, er heißt nicht wirklich so, aber wir nennen ihn so. Huber ist um die 30, wirkt jungenhaft. Er steht unter "Führungsaufsicht", also jenem Instrumentarium, mit dem man Straftäter seit 2007 auch nach ihrer Entlassung an mehr oder minder kurzem Zügel führen kann. Huber muss sich regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer melden und bestimmte Auflagen erfüllen. Strehl will kontrollieren, ob alles im normalen Bereich läuft bei Huber. Was eben normal heißt bei jemandem, der vorbestraft ist, weil er einen kleinen Buben sexuell missbraucht hat.

Strehl will wissen, ob er Kontakt zu Kindern hat, sich in der Nähe von Kindergärten aufhält oder Pornos im Internet anschaut. All das darf Huber nicht mehr, seit er aus dem Gefängnis entlassen wurde und unter Führungsaufsicht steht. Verstößt er gegen die Auflagen, landet er wieder im Knast. Seit über drei Jahren macht Huber eine Sexualtherapie und Strehl steht in ständigem Kontakt mit der Therapeutin. Huber ist berufstätig, hat eine Freundin und lebt inzwischen in planmäßigen Strukturen "Es läuft", sagt der Bewährungshelfer über einen seiner weniger rückfallgefährdeten Klienten. Ein Drittel aller Straftäter wird rückfällig.

Strehl ist der stellvertretende Leiter der Bewährungshilfe am Landgericht Regensburg und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in Bayern. Das klingt fast zu harmlos für eine Arbeit im permanenten Ausnahmezustand. Jeder der 14 Mitarbeiter, es sind auch Frauen dabei, betreut im Schnitt 90 "Klienten". Das Spektrum reicht vom chronischen Schwarzfahrer bis zum schweren Sexualstraftäter. Alle müssen mehr oder minder rigide Weisungen beachten, wie Kontakt- und Aufenthaltsverbote. Doch alle können sich frei bewegen.

Die Arbeit des Bewährungshelfers ist ein Wettlauf mit dem Rückfall. Er muss verhindern, dass wieder Kinder missbraucht oder Frauen vergewaltigt werden. Trotzdem kann Strehl noch abschalten und ruhig schlafen. Die Klienten haben sogar seine private Handy-Nummer.

Strehl hat ein paar Semester Betriebswirtschaftslehre studiert, bevor er zur Sozialpädagogik wechselte. Er ist eine Mischung aus hartem Detektiv und geduldigem Sozialarbeiter. Kumpelhaftigkeit verbietet er sich, er siezt seine Klienten und sie siezen ihn. Er misstraut ihnen. Das ist berufsbedingt. An das Gute im Menschen zu glauben, kann er sich nicht leisten. "Ich glaube grundsätzlich nichts", sagt Strehl. "Ich überprüfe alles."

Strehl ist kein grundsätzlich negativ denkender Mensch. Im Gegenteil: Er wirkt fröhlich, hat eine Familie, zwei Kinder und ein Enkelkind. "Es darf keine Opfer mehr geben", sagt er und dafür will er alles tun.

Er fordert einen "vernünftigen Personalschlüssel" für die bayerischen Bewährungshelfer. Für den Haushalt 2009/10 wurden in Bayern 20 neue Planstellen vom Finanzminister bewilligt. Die Arbeitsgemeinschaft fordert fürs nächste Jahr 30 neue Stellen. "Wir sind ein Teil der inneren Sicherheit", sagt Strehl über sich und seine Kollegen. Jede gelungene Resozialisierung bedeutet ihm zufolge "ein Opfer weniger".

Bewährungshelfer wie Strehl könnten in Zukunft noch wichtiger werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Ende vergangenes Jahr die deutsche Sicherungsverwahrung grundsätzlich in Frage gestellt. Jenes Gesetz, nach dem rückfallgefährdete Täter auch nach der Verbüßung der Haft weggeschlossen werden können, zum Schutz der Allgemeinheit.

Doch Strehl ist skeptisch, ob es ohne Sicherungsverwahrung geht. Als sie bei dem Frauenmörder von Kelheim verhandelt wurde, saß er im Team, das den Verurteilten im Falle seiner Freilassung rund um die Uhr hätte bewachen müssen. "Bei brandgefährlichen Fällen finde ich eine Sicherungsverwahrung nicht verkehrt", sagt Strehl. So eng die Arbeit von Polizei, Psychologen, Justiz und Bewährungshilfe inzwischen auch verzahnt sein mag, "bei null Aussicht auf Erfolg hat alles seine Grenzen".