Irsching
"Wir sind der Spielball der Politik"

30.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:28 Uhr

Irsching (DK) Die Betreiber des Gaskraftwerks Irsching bei Ingolstadt haben die vorläufige Stilllegung der Anlage in einem Jahr beantragt. Sollte die Bundesnetzagentur dem widersprechen, werde man Rechtsmittel einlegen, hieß es gestern. Denn ein wirtschaftlicher Betrieb sei nicht mehr möglich.

Das Vorgehen der Anteilseigner Eon, Mainova, N-Ergie und HSE kommt keineswegs überraschend. Zum einen sind die Betreiber verpflichtet, derlei Pläne mit mindestens zwölf Monaten Vorlauf anzumelden. Zum anderen hatten sie vor zwei Jahren schon einmal mit derselben Drohung erreicht, dass der Übertragungsnetzbetreiber Tennet sie gegen entsprechendes Entgelt zum Weitermachen verpflichtete, weil das Gaskraftwerk die Versorgungssicherheit in Spitzenzeiten sicherstellen soll. Kritiker halten den jetzigen Schritt deshalb für eine taktische Drohgebärde, um mehr Geld herauszuholen.

Die Anteilseigner argumentieren im Gegenzug, das Kraftwerk habe im vergangenen Jahr „zu keiner Stunde Strom für den Markt produziert“. Die Blöcke 4 und 5 seien lediglich zur Stabilisierung des Stromsystems zum Einsatz gekommen. Die dafür erhaltene Vergütung reiche gerade zur Kostendeckung. „Um keine roten Zahlen schreiben zu müssen, sehen die Eigentümer keine Alternative zu einer Stilllegungsanzeige.“

Netzbetreiber Tennet muss den Antrag nun prüfen und kann die Stilllegung untersagen, wenn das Gaskraftwerk einen wichtigen Pfeiler für die Netzstabilität darstellt. Irsching würde dann in die Reservekraftwerksverordnung fallen, die Anteilseigner erhielten in diesem Fall Geld für die Bereithaltung der Anlagen. Die Verordnung gelte aber vorwiegend für ältere Kraftwerke und müsste so angepasst werden, dass auch die Kosten moderner Betriebe wie in Irsching berücksichtigt würden, sagen die Verantwortlichen bei Eon, Mainova, N-Ergie und HSE. Sie kündigten juristische Schritte an, sollte der Netzbetreiber sie zum Weitermachen auf bisheriger Basis verpflichten.

„Es wäre ein Schildbürgerstreich erster Ordnung, wenn das modernste Kraftwerk Europas stillgelegt würde, um alte Kohlemühlen weiterzubetreiben“, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gestern gegenüber unserer Zeitung. Es gehe bei der Energiewende nicht nur um den Stromtransport, sondern auch um dessen Produktion. Das Wirtschaftsministerium in Berlin müsse endlich die Frage beantworten, wie man konventionelle Kraftwerke in die Energiewende einbauen wolle. Dass sie gebraucht werden, ist für Seehofer offensichtlich: „Wenn wir 2022 alle Atomkraftwerke abschalten, haben wir nicht einmal die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energien“, sagte er. Er hofft, dass bis zum Koalitionsausschuss am 24. Juni geklärt sein wird, wie der Strom künftig produziert, gespeichert und transportiert werde. „Ich gehe davon aus, dass wir diese energiepolitischen Fragen vor der Sommerpause lösen“, erklärte Seehofer.

Bayerns Energieministerin Ilse Aigner (CSU) forderte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf, den wirtschaftlichen Betrieb moderner Anlagen wie in Irsching zu ermöglichen. Die Grünen wiederum bezeichneten den gestrigen Antrag der Kraftwerksbetreiber als Rückschlag für die Energiewende.

Entschieden ist freilich noch gar nichts. Leidtragende der taktischen Scharmützel gibt es dennoch, nicht zuletzt die 60 Beschäftigten im Kraftwerk Irsching. Mit großem Brimborium waren die fraglichen Blöcke vor vier beziehungsweise fünf Jahren in Betrieb gegangen, die Zukunft erschien angesichts modernster Technik rosig. „Und jetzt wissen wir schon nach so kurzer Zeit nicht, wie es für uns aussieht“, heißt es bei der Belegschaft. „Manche haben gerade ein Haus hier gebaut und fragen sich, wie’s weitergeht; viele haben Angst um ihre Stelle. Wir sind zum Spielball der Politik geworden.“