Ingolstadt
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Franziska-Prozess in Ingolstadt findet immer öfter hinter verschlossenen Türen statt

27.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:22 Uhr

Ingolstadt (DK) Eine Region trauerte. Die Menschen versuchten zu verstehen, wie das hier bei ihnen, im beschaulichen Ingolstädter Umland geschehen konnte. Die Welt war doch noch in Ordnung gewesen vor diesem 15. Februar 2014. Der Tag, als die kleine Franziska, gerade einmal zwölf Jahre alt, aus ihrem Dorf, dem Nachbardorf oder dem Nachbarlandkreis brutal sexuell missbraucht und ermordet wurde – und danach einfach in einem Weiher entsorgt wurde. Warum? Das ist die Frage, die in Ingolstadt seit dem ersten Verhandlungstag den Landgerichtsprozess gegen Franziskas mutmaßlichen Mörder Stefan B. begleitet. Die Menschen suchen nach der Antwort darauf, was denn das für ein Mitmensch sein kann, der einem Kind so etwas antut.

Ob der Prozess das jemals beantworten könnte, ist freilich fraglich. 14 Verhandlungstage lang hat das Ingolstädter Landgericht viel beleuchtet, die Kernfrage aber scheint auch angesichts des (nach dem Geständnis) anhaltenden Schweigens des Angeklagten noch immer weit entfernt. Viel mussten sich die Zuhörer und die anderen Prozessbeobachter aus den Informationsschnipseln zusammenreimen.

Am gestrigen Montag allerdings hätte die Öffentlichkeit die Möglichkeit gehabt, aus Expertenmund zu hören, wie der mutmaßliche Kindermörder Stefan B. so tickt. Ober er wirklich „nicht normal ist“, wie der Volksmund nach einem derartigen Verbrechen sagen würde. Doch der psychiatrische Sachverständige Friedemann Pfäfflin, der die Schuldfähigkeit des Angeklagten bewertet hat, sagte gestern vor leeren Zuhörerbänken aus. Das Gericht hatte die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Das tut die Schwurkammer unter dem Vorsitz des Landgerichtsvizepräsidenten Jochen Bösl immer häufiger, jetzt da sich der spektakuläre Prozess stark dem Ende entgegenneigt und Zusammenfassungen des bisher Erlebten anstehen. Bösl beruft sich in seinen Erklärungen auf den Opferschutz, der ihm durch eine neue gesetzliche Regelung verschärft vorgegeben würde. Konkret geht es um zwei Mädchen, rechtlich Kinder, die Stefan B. ebenfalls sexuell missbraucht beziehungsweise belästigt haben soll. Auch diese Taten sind in dem Mordprozess mit angeklagt. Die 14-Jährigen sagten als „kindliche Opfer“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Die Mädchen sind in dem gesamten Franziska-Komplex nur Randfiguren und beschäftigten das Gericht an den 14 Tagen gerade einmal wenige Stunden an zwei Vormittagen, aber doch inzwischen von zentraler Bedeutung geworden: Weil ihre kurzen Aussagen in die große Bewertung – unter anderem des psychiatrischen Gutachters – einfließen und zur Sprache kommen. Die Intimsphäre sei zu schützen: Das Argument, das taktisch ausgerechnet von den Verteidigern des mutmaßlichen Mörders und Kinderschänders vorgebracht wird, sticht aktuell immer öfter. Getrieben vom „Ausschlussantrag“ der Verteidigung erklärte Bösl gestern zwar, der Intimbereich des Angeklagten sei hier nicht schutzwürdig, nur die Opfer. Der Richter musste ihm den Schutzschirm mit Blick auf die Mädchen dennoch gewähren. Aus dem Opferschutz hat sich ein Täterschutz entwickelt.

Nicht einmal die Staatsanwaltschaft macht einen offen vernehmbaren Versuch, dagegen zu argumentieren. Dabei beruft sie sich selbst oft in ihren Anklagen „auf das öffentliche Interesse“ der Strafverfolgung. Das Volk hört in den entscheiden Momenten des Franziska-Prozesses aber nichts.

Das setzt sich morgen fort, wenn die Prozessbeteiligten die Plädoyers halten, in denen es auch um die mögliche Sicherungsverwahrung des Angeklagten geht. Auch diese Schlussanträge werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen. Die Argumentation ist bekannt.