Ingolstadt
"Den Bedarf zu erklären ist nicht einfach"

Peter Barth, Leiter des Netzausbaus bei Amprion, über die geplante Gleichstromtrasse

24.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Ingolstadt (DK) Die Energiewende findet breite Zustimmung. Die Nebenwirkungen dagegen erzürnen viele Bürger. Vor allem gegen die geplante „Südost“-Stromtrasse von Norddeutschland bis nach Bayern regt sich massiver Protest. Unumgänglich sagen die Befürworter, überflüssig und gesundheitsschädlich entgegnen die Stromtrassengegner. Peter Barth (Foto) leitet beim Netzbetreiber Amprion den Bereich Netzausbau. Wir haben mit ihm über die geplante „Monstertrasse“ und den Protest dagegen gesprochen.

Herr Barth, in Bayern schlägt Ihnen bei der geplanten Stromtrasse massiver Protest entgegen. Sind Sie bei Amprion schon genervt davon?

Peter Barth: Nein, überhaupt nicht. Den Menschen den zukünftigen Bedarf an Stromleitungen zu erklären ist nicht einfach. Wir haben es hier mit sehr komplexen Zusammenhängen zu tun. Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass Bürger Fragen stellen und Bedenken äußern. Und wir stellen uns diesen Fragen. Genauso legitim ist es im Übrigen, wenn Politiker aufgrund der Bürgerproteste die Notwendigkeit der Leitungen hinterfragen.

 

Die Trassengegner haben zum Beispiel Sorge, dass sich die Hochspannungsleitungen auf die Gesundheit auswirken.

Barth: Dazu gibt es entsprechende Studien, die besagen: Es gibt keine Hinweise auf negative Auswirkungen. Das Problem ist: Wir argumentieren mit Zahlen – auf der anderen Seite stehen jedoch Sorgen, Ängste, Emotionen. Und diese lassen sich mit reinem Zahlenwerk nur schwer aus der Welt schaffen. Deshalb versuchen wir es inzwischen gerne mit Beispielen: So ist das Magnetfeld einer Gleichstromleitung vergleichbar mit dem natürlichen Magnetfeld der Erde – und darin bewegen wir uns seit Jahrtausenden ohne Folgeschäden.

 

Ein anderes Argument lautet, die Trasse würde vor allem Kohlestrom statt regenerativen Strom nach Bayern liefern.

Barth: Im Nordosten Deutschlands, wo die Trasse beginnen soll, gibt es mehr Windkraftanlagen als Kohlekraftwerke. 12 Gigawatt Strom werden heute dort durch Wind erzeugt, 10 Gigawatt durch Braunkohle. Bis 2025 – wenn die Leitung in Betrieb ist – kommen weitere 10 Gigawatt Windstrom hinzu. Und die Energiewende wird weitergehen. Ab 2035 rechnen wir damit, dass die Braunkohlekraftwerke nach und nach vom Netz gehen. Die Windkraft wird weiter wachsen. Richtig ist, dass auch konventionell erzeugter Strom durch die Leitungen fließen wird, zum Beispiel bei einer Windflaute. Alle Leitungen in Deutschland bilden den jeweils aktuellen Strommix ab. Von einer Braunkohlestromleitung kann man daher nicht sprechen.

 

Alle wollen die Energiewende – aber bloß keine Beeinträchtigung vor der eigenen Haustür. Ist das nicht ein Widerspruch?

Barth: Nicht unbedingt. Beim Bau von Eisenbahnlinien und Autobahnen gibt es auch Proteste. Ich kann den Widerstand vieler Bürger gegen Windräder nachvollziehen. In Bayern gibt es breit verteilt viele kleine Ortschaften – und eben nicht die gigantisch großen freien Flächen für Windparks wie im Norden Deutschlands. Deswegen gibt es Beeinträchtigungen und Protest. Beim Netzausbau ist es ähnlich, auch hier lösen wir in anderen Bundesländern weniger Betroffenheiten aus. Trotzdem brauchen wir eine Lösung. Eine optimale Trassenführung kann nur im Dialog mit den Betroffenen vor Ort erfolgen. Wir wollen den Eingriff in die Landschaft minimieren, etwa durch Bündelung von Leitungen entlang von Straßen und Eisenbahnlinien, durch die Erdverkabelung und niedrigere Masten.
 

Warum ist die Trasse aus Ihrer Sicht unumgänglich?

Barth: Bayern verbraucht heute 90 Terawattstunden Strom im Jahr. Nach Abschaltung der Kernkraftwerke werden davon 40 Terawattstunden fehlen. Selbst wenn sie in den nächsten zehn Jahren bis an die Grenze der Möglichkeiten regenerative Energien im Freistaat Bayern ausbauen, werden immer noch 25 Terawattstunden fehlen, die in irgendeiner Form abgedeckt werden müssen. Über den Netzausbau können sie diese Lücke mit Wind- und Photovoltaik-Importen aus anderen Regionen schließen.

 

Was ist mit Gaskraftwerken?

Barth: Natürlich könnte man alternativ auch Gaskraftwerke bauen, um die Grundlast abzudecken. Die Frage ist dabei: Ist das die Alternative zur Windenergie? Stichwort: Nachhaltigkeit. Aus unserer Sicht ist das übrigens auch ökonomisch fraglich. Strom aus Windkraft liegt in der Erzeugung heute bei etwa fünf Cent pro Kilowattstunde. Für Photovoltaik gilt das Geiche. Gas liegt derzeit bei zwölf Cent. Bedarf an Gaskraftwerken sehen wir trotzdem: als Reserve, um die Stabilität des Netzes in kritischen Momenten zu garantieren.

 

Das Interview führte

Sebastian Oppenheimer.