Ingolstadt
Mehr Freiheit, aber auch mehr Risiko

26.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:29 Uhr

Das Melken erfolgt heutzutage im eigenen Stand und bequem von einer Grube aus. Bücken ist nicht mehr nötig. - Foto: Richter

Ingolstadt (DK) „Die Milch macht’s“, textete die Werbebranche in den 1980er Jahren. Aber bald schon wurde es zu viel, was die Bauern erzeugten. Wohin nur mit den sprichwörtlichen Butterbergen und Milchseen? 1984 kam die Milchquote und damit eine Regulierung der Produktionsmengen, die nun am 31. März ausläuft.

Künftig gelten also die Gesetze des freien Marktes, mit allen Vor- und Nachteilen. „Ich werde natürlich überall auf das Thema angesprochen“, sagt Josef Kroll, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes Eichstätt-Ingolstadt. „Da sind bei vielen Kollegen schon Ängste da. Andere, die neu gebaut haben oder investieren wollen, freuen sich über die Öffnung.“ Quo vadis, Milchpreis, wie wird es weitergehen? „Ich denke, dass es anfangs einen Schlingerkurs gibt, aber dann pendelt sich das schon wieder ein“, hofft Kroll. „In der Landwirtschaft wird es immer einen Strukturwandel geben“, empfiehlt er vor allem ein wenig Gelassenheit.
 
Manfred Gilch, bayerischer Landesvorsitzender beim Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und mit seinem Hof in Hilpoltstein daheim, fehlt freilich der Glaube an ein gutes Ende. „Bayern wird ohne die Milchquote zu den Verlierern gehören“, prophezeit er. „Es ist sehr bedenklich, wenn wir keinen Einfluss mehr auf die Produktionsmengen haben. Ich bin überzeugt, dass der Preis weiter fallen wird.“ Gilch sorgt sich vor allem um die kleinen Familienbetriebe mit rund 50 Tieren im Stall, wie sie typisch für den Freistaat sind. „Die Milchwirtschaft wird denselben Weg nehmen wie die Schweine- und Geflügelmäster. Die Konsequenz wird die Flucht ins Wachstum sein. Wir werden Megaställe bekommen, und die kleinen Bauern müssen aufgeben“, malt Gilch ein düsteres Bild. Schon jetzt würden mancherorts Ställe für 200 bis 300 Tiere gebaut. „Ich wünsche mir, dass wir hier nicht blind der Ideologie der freien Marktwirtschaft nachlaufen. Wir sind auf Stabilität angewiesen und brauchen dringend Leitplanken.“

Wobei das Milchkontingent nicht der Heilsbringer schlechthin gewesen ist, das räumt selbst der BDM-Funktionär ein. „Man hat die Quote meist für die Interessen der Milchindustrie missbraucht, statt zum Vorteil der Erzeuger“, kritisiert Gilch. Viele Bauern denken so, auch wenn sie die Planungssicherheit durch die bisherigen Vorgaben durchaus schätzten. 68 Pfennig pro Kilogramm Milch erhielten sie, als die Mengenbeschränkung 1984 in Kraft trat, momentan sind es gerade mal rund 30 Cent. Gut, im vergangenen Jahr waren es zehn Cent mehr, da sind viele Erzeuger über ihr Kontingent hinausgeschossen und haben mehr Milch geliefert. Aber wer zu viel produziert, muss in Form der sogenannten Superabgabe büßen. Diese Sanktion steht für 2014/15 noch an, die Höhe wird erst festgelegt. „Da werde nicht nur ich noch daran zu schlucken haben“, sagt ein Landwirt aus dem Pfaffenhofener Raum, der anonym bleiben möchte.

Die Zeit seit Einführung der Milchquote hat der Branche viele Änderungen beschert. Die Kühe sind durch Zucht leistungsfähiger und die Auflagen stetig strenger geworden. Der Bau tiergerechter Ställe und die Anschaffung moderner Melktechnik gingen mächtig ins Geld. Wer noch dazu seine Produktionsmenge erhöhen wollte, musste dafür tief in die Tasche greifen. „Das waren schon mal 100 000 Euro oder mehr, die für eine Aufstockung der Quote fällig waren“, sagt die stellvertretende Kreisbäuerin Gisela Steib aus Sandizell im Kreis Neuburg-Schrobenhausen. Rund 50 Milchkühe stehen bei ihr und ihrem Mann im Stall, der Wegfall der Quote ist seit drei oder vier Jahren ein Thema in der Familie. „Grundsätzlich bin ich aber schon für den freien Markt, auch wenn die Preise jetzt wahrscheinlich noch ein wenig nachgeben“, sagt die Bäuerin. Sie vertraut ganz auf das Konzept der Familie, das auf Mehrgleisigkeit basiert: „Neben der Milchwirtschaft bauen wir noch Spargel an und betreiben eine Bullenmast. Da gleicht das eine das andere aus, wenn es mal nicht so gut laufen sollte.“ Gisela Steib kann verstehen, wenn Landwirte nach dem Wegfall der Milchquote erst einmal zurückhaltend sind. „Da überlegst du schon, ob du gerade jetzt investierst. Die feste Regelung hat halt schon Sicherheit gegeben.“

Markus Peters vom Bayerischen Bauernverband (BBV) weist darauf hin, „dass das Ende der Quote nur einen Rückzug aus der Mengensteuerung bedeutet. Die Unterstützung der Landwirtschaft durch die europäische und bayerische Agrarpolitik bleibt aber bestehen“, sagt er. „Als Verband sehen wir die Politik in zunehmender Verantwortung, damit gewachsene Strukturen überleben können.“ Laut einer BBV-Aufstellung gab es 2014 exakt 36 615 Milchviehbetriebe in Bayern, bei der Einführung der Milchquote waren es noch rund 155 000. Das mag nicht zuletzt mit dem sich abzeichnenden Trend zu größeren Betrieben zusammenhängen.

Else Greßmann vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ingolstadt hat festgestellt, dass kleine Höfe oft nur deshalb wegfallen, „weil ein Nachfolger fehlt“. Die Amtschefin geht aber in Sachen Milchquote von ähnlichen Szenarien wie der BDM aus: „Wer bestehen will, muss größer werden, darauf wird’s hinauslaufen“, sagt sie. Im Kreis Pfaffenhofen existieren derzeit noch 316 Milchviehhalter, in Neuburg-Schrobenhausen sind es 424, Ingolstadt und Eichstätt kommen auf knapp 320.

Ein wenig Optimismus verbreiten zumindest die Abnehmer, wie etwa die Milchwerke Ingolstadt-Thalmässing. 450 Bauern aus der Region liefern dorthin. „Wir versuchen, im Rahmen der Marktbedingungen das Beste für unsere Landwirte herauszuholen“, verspricht Geschäftsführer Karl Kunz. Die Molkerei Zott in Mertingen (Donau-Ries), von 240 Bauern aus der Region Ingolstadt beliefert, erwartet bis Ende Mai höchstens zwei Prozent mehr Lieferungen – Mengen, die „in jedem Fall verarbeitet werden“ können, wie Christian Schramm vom Zott-Milcheinkauf versichert. Selbst einen Preisanstieg hält er für möglich, sollte sich die weltweit produzierte Milchmenge nicht gravierend ändern – wofür es Anzeichen gebe.