Ingolstadt
Gläubige kehren der Kirche den Rücken

06.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:58 Uhr

Ingolstadt (DK) Tausende Gläubige in den bayerischen Bistümern haben 2010 ihre Kirche verlassen. Die Austrittszahlen haben sich zwar wieder auf einem niedrigeren Niveau eingependelt, aber nicht alle geben sich damit zufrieden.

Knapp 60 Prozent mehr Kirchenaustritte im Bistum Regensburg, knapp 70 Prozent im Bistum Eichstätt, sogar über 70 Prozent im Bistum Augsburg: Im Jahr 2010 haben viel mehr Menschen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt als 2009; dabei waren die Austrittszahlen damals schon hoch. Während die evangelische Landeskirche in Bayern 2010 genauso viele Austritte zu verzeichnen hatte wie 2009 – nämlich etwa 20 000 –, war die Bilanz bei den Katholiken während der Frühjahrsmonate 2010 so verheerend, dass sie den gesamten Jahresdurchschnitt verhagelte. Es war die Zeit, als die Missbrauchsfälle ans Licht kamen. "Die besondere Medienpräsenz" während dieser Zeit macht ein Sprecher der Diözese Regensburg für den Anstieg verantwortlich, danach habe es sich wieder "eingependelt". Auch bei anderen Ereignissen habe es schon starke Einbrüche gegeben, etwa als Anfang 2008 die Abgeltungssteuer eingeführt wurde.

Im Erzbistum München-Freising gab es 2010 ebenfalls mehr Kirchenaustritte. Genaue Zahlen waren aber nicht zu erfahren. Etwa 23 000 Austritte habe es 2010 gegeben, erklärte ein Sprecher, das seien knapp 30 Prozent mehr als 2009. Er wies aber darauf hin, dass die Zahlen "nicht bereinigt" seien: "Pendler, die innerhalb des Erzbistums arbeiten, aber woanders wohnen und aus der Kirche austreten, werden hier mitgezählt", sagte er. Wie weit die vorläufigen Zahlen von den bereinigten abweichen, wollte er aber nicht sagen.

Für Herbert Tyroller, Vertreter der Laienbewegung "Wir sind Kirche" im Bistum Augsburg, ist nicht das schlechte Jahr 2010 das Hauptproblem. "Das Erschreckende ist nicht, dass wir aufgrund der Missbrauchsfälle und des Ärgers mit Ex-Bischof Walter Mixa diesen Ausreißer hatten", sagt er. "Aber in den Jahren zuvor hatten wir deutschlandweit immer etwa 120 000 Austritte pro Jahr. Das finde ich bedauerlich. Da muss man sich etwas einfallen lassen." Was könnte das sein? "Es genügt nicht, ein Hirtenwort zu verfassen", wie der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa es kürzlich getan hat. "Er muss mit den Gläubigen reden; den Dialog nicht nur ankündigen, sondern auch durchführen." Ein Dialog kommt aber nur zustande, wenn beide Seiten teilnehmen, und da hakt es aus Tyrollers Sicht: "Robert Zollitsch, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, hat zwar eine Dialoginitiative angeregt. Da ist aber noch nichts zustandegekommen – wahrscheinlich gibt es bei manchen Bischöfen Widerstand."

Was den Dialog angeht, ist man im Bistum Eichstätt schon weiter. Vor drei Wochen hat der Diözesanrat eine Arbeitshilfe mit dem Titel "Herausforderung Kirchenaustritt – Anlass zum Gespräch" herausgegeben. Auf knapp 20 Seiten bietet das Heft Analysen, methodische Hilfestellungen und Gesprächsanregungen zum Thema Kirchenaustritt. "Darüber in Gemeinden, Gremien und Gruppen ins Gespräch zu kommen, kommt einem Tabubruch gleich", heißt es im Vorwort von Christian Gärtner, dem ehrenamtlichen Vorsitzenden des Diözesanrats. "Das Thema kann uns auch als Laien nicht kaltlassen", sagt Gärtner. "Wenn die Kirche ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, fällt das auch auf jene zurück, die sich dort engagieren." Die Arbeitshilfe richtet sich an Haupt- und Ehrenamtliche in den Pfarrgemeinden. "Die Gemeinden richten ihren Blick häufig zu stark auf die Kerngemeinde", sagt Gärtner. Wie nah das Thema auch den engagierten Christen schon gerückt ist, zeigt er auch: "Bei der letzten Vollversammlung des Diözesanrats kannte fast jeder jemanden, der ausgetreten ist."