Ingolstadt
Ein Pottwal aus Porzellan

21.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:16 Uhr

Foto: Johannes Hauser

Ingolstadt (DK) Die junge Designerin Laura Pöhlmann aus Ingolstadt hat ihren sicheren Job in der Autoindustrie gekündigt und sich mit einer Porzellanmanufaktur selbstständig gemacht. Ihre lustigen Tiere für den Frühstückstisch sind kostbare Unikate.

Porzellan, so erklärt sie, sei die Diva der Keramik. "Du darfst nichts falsch machen, sonst hast du nur kaputte Ware." In ihrer kleinen Werkstatt, der neuen Porzellanmanufaktur, experimentiert Laura Pöhlmann aus Ingolstadt seit Monaten mit Material und Form. Zwei runde, dicke Öfen stehen dort, ein kleiner und ein großer, dessen Edelstahl noch sauber glänzt. Daneben viele Plastikeimer und Behälter, in denen die Zutaten lagern: flüssiges Porzellan, auch Schlicker genannt, Glasuren und Reste aus den Gussformen, die aufbewahrt und wiederverwendet werden.

An einer Wand hängen Regale mit den fertigen Produkten: weiße und schwarze Vögel wie aus Papier gefaltet, die als Salz- und Pfefferstreuer dienen. Butterdosen in Form dicker Pottwale, die zufrieden schmunzeln. Ringförmige Eierbecher, die sich bei näherem Hinschauen als kleine Kraken entpuppen mit winzigen Saugnäpfen an den Tentakeln.

Eine lustige Menagerie - die ersten Stücke der Frühstückskollektion von Laura Pöhlmann. Die 28-jährige Produktdesignerin hat der Automobilindustrie den Rücken gekehrt und sich mit ihrer Porzellanmanufaktur selbstständig gemacht. Am Boden der Butterdose befindet sich der Stempel ihres Labels: Tausend320. "Das ist die Brenntemperatur für hochwertiges Porzellan und ein Qualitätsversprechen."

Wenn Laura Pöhlmann über Porzellan spricht, dann hört sich das kompliziert an. Dann erklärt sie, bei welchen Temperaturen der Quarz schmilzt, wozu Feldspat dient und was es mit der dritten Zutat Kaolin auf sich hat. Warum hochwertiges Porzellan das Licht durchlässt. Warum das eine Material sich "gipsig" anfühlt und das andere nicht. "Jeder Porzellanmacher hat seine eigenen Rezepte und Verfahren", erzählt sie. Alles Geheimsache.

Daheim, im Wohnzimmer der jungen Frau, hängen drei Leuchten aus Porzellan von der Decke herab. Ihre Form erinnert an Artischocken oder Hopfendolden. Diese Lampen stehen am Anfang der Geschichte: Laura Pöhlmann hat nach dem Abitur an der Fachschule für Produktdesign in Selb im Fichtelgebirge studiert. Sie trägt den historischen Namen "Johann-Friederich-Böttger-Institut", besteht seit 1909 und war viele Jahrzehnte zentrale Ausbildungsstätte für die Porzellanindustrie. Heute ist die Schule ein international angesehenes Zentrum für Produktgestaltung, Industriedesign und Designmodellbau.

Die Leuchte mit den Blättern aus Hartporzellan war damals Pöhlmanns Abschlussarbeit. "Sie wurde bei Rosenthal speziell für mich gebrannt", erzählt die junge Frau, die eine bittere Erfahrung mit diesem Stück verbindet: Sie bekam dafür nämlich eine sehr schlechte Note. Zu Unrecht, wie sie findet. "Ich habe mich beschwert, aber es hat nichts genutzt. Was habe ich geweint deshalb."

Nach der Ausbildung und einem kurzen Abstecher in die Fotografie findet Pöhlmann Arbeit in Ingolstadt, in der Automobilindustrie. Sie verdient gut und hat anfangs auch Spaß daran, als Virtual-Reality-Designerin für die Werbung, für Präsentationen und für den Onlinekonfigurator tätig zu sein. "Ich konnte mich nicht beklagen, aber mir fehlten die Aufstiegschancen und Möglichkeiten, mich weiterzuentwickeln."

Beim Anblick ihrer Lampe reift schließlich der Gedanke, etwas Eigenes zu schaffen und wieder mit Porzellan zu arbeiten. "Das ist ein natürlicher, alltäglicher Werkstoff." Und so hängt sie 2015 kurzerhand ihren sicheren Job in der Autoindustrie an den Nagel. "Und damit ein Leben mit zweimal Urlaub im Jahr, mit sorglosem Einkaufen, mit Renten- und Krankenversicherung", erklärt sie. "Und das in Ingolstadt, wo alles so kostspielig ist."

Fortan entwirft sie eigene Produkte - nützliche Dinge, "denn ich mag Sachen, die funktional sind und nicht nur Deko". Eine tierisch-lustige Kollektion. "Alle diese Wesen haben etwas gemeinsam mit mir." Der Butterdosen-Wal etwa ist eine Hommage an eine Begegnung mit Pottwalen auf dem Atlantik nahe der Azoren. "Wir waren mit Meeresbiologen unterwegs und sahen Kühe mit ihren Kälbern", erzählt die 28-Jährige. "Das war so faszinierend: Diese Wale besitzen ein Gehirn, das fünf Kilogramm wiegt, und können unfassbar tief tauchen. Da unten im Meer jagen und fressen sie Kraken." Laura Pöhlmann lacht: "Und diese Kraken sind halt meine Eierbecher."

Die Vögel erinnern an eine Reise nach Hiroshima und die wahre Geschichte von dem leukämiekranken Mädchen Sadako Sasaki, das tausend Origami-Kraniche falten wollte. Der Legende nach erfüllen die Götter dann einen Wunsch. In der Hoffnung auf Heilung begann Sadako während ihres mehrmonatigen Krankenhausaufenthaltes, Papierkraniche zu falten. Bis zu ihrem Tod schaffte sie mehr als 1600 Exemplare.

Kostbare Erinnerungen - kostbares Porzellan. So ein Vogel als Salzstreuer kostet rund 130 Euro, der Butterdosen-Pottwal knapp 300 Euro. "Ich weiß, das ist viel Geld", räumt Pöhlmann ein. "Aber in diesen Unikaten steckt viel Arbeit. Ich nehme jedes Teil bestimmt 200-mal in die Hand, bevor es fertig ist." Es beginnt mit dem Befüllen der handgefertigten Gießform mit dem Schlicker. Nach ein paar Minuten hat die Gipsform der Porzellanmasse Flüssigkeit entzogen, und die richtige Wandstärke ist erreicht. Die überschüssige Masse wird dann wieder ausgegossen. "Das Material gibt mir das Tempo vor", erklärt sie. Dann trocknet das Stück in der Form, bis es leicht entfernt werden kann. Anschließend werden die Gussnähte grob verputzt, und das Teil landet zum ersten Brennvorgang im Ofen. Vor dem zweiten Brand wird es gestempelt und glasiert.

Laura Pöhlmann tätschelt ihren neuen Rohde-Toplader: "Mein Öfchen ist mein neues Heiligtum." Eine große Investition in die Zukunft als Selbstständige. Jetzt beginnt die Vermarktung ihrer kleinen Schätze. Der Online-Shop ist seit Anfang der Woche geöffnet. Demnächst will die Designerin Läden in München abklappern. Sie ist glücklich mit ihrer kleinen Porzellanmanufaktur. Die nächsten Tierchen krabbeln schon aus dem Ofen: Dino-Döschen und Pinguin-Milchkännchen. "Weil sie einfach lustig sind."