Ingolstadt
Die Karriere der Christine Haderthauer

01.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:17 Uhr
Christine Haderthauer. −Foto: Schacht

Ingolstadt (DK) Ende Juli war Christine Haderthauer bei uns zu Gast in der Redaktion. Blass und mitgenommen sah sie aus. Die sogenannte Modellbau-Affäre hatte sich in den Tagen davor hochgeschaukelt, immer neue Details wurden bekannt, die Zeitungen in Bayern spekulierten über ihren Rücktritt als Staatskanzleichefin.

Es ist dies eine Szene mit Symbolcharakter: Denn der Hang zum Gefühlsduseligen geht ihr völlig ab. Das Bajuwarisch-Barocke – innerhalb der CSU eh ein mehr und mehr verschwindender Wesenszug –, das Joviale, die offensive Heimatliebe überlässt sie gern anderen. Und wo sie sich mal aufs Menschelnde einzulassen versucht, ist deutlich zu spüren, wie unwohl sie sich dabei fühlt: Christine Haderthauer versteht sich als Macherin – und wirkt zielstrebig, durchsetzungsstark, selbstbewusst, bisweilen bis an die Grenze zur Arroganz. Kühl sei sie, heißt es oft, distanziert. Sie selbst sieht das naturgemäß anders: „Für mich ist Empathie, dass ich zum Hörer greife und etwas verändere, nicht so sehr, dass ich erst einmal ausgiebig mitweine.“ Das ist ein typischer Haderthauer-Satz. Ein anderer lautet: „An sich zweifeln kann man zu Hause.“ Öffentliche Zweifel, soll das heißen, sind ein Zeichen von Schwäche. Und Schwäche kann man sich dieser Logik zufolge im politischen Geschäft nicht leisten.

Es war eine Bilderbuchkarriere, die die am 11. November 1962 in Neumünster (Schleswig-Holstein) geborene Haderthauer hingelegt hat. Nach dem Abitur in Ludwigshafen studierte sie Jura an der Universität Würzburg, legte 1986 das erste und vier Jahre später am Oberlandesgericht Nürnberg das zweite juristische Staatsexamen ab. 1991 kam sie mit ihrer Familie – ihrem Mann Hubert, den sie 1985 geheiratet hatte, und den beiden Kindern – nach Ingolstadt, wo sie 2002 ihre eigene Rechtsanwaltskanzlei gründete und als Fachanwältin für Arbeitsrecht reüssierte. Erfolgreiche und ambitionierte Juristin, dazu eine Vorzeigefamilie: Die meisten wären damit ausgelastet. Doch Christine Haderthauer treibt gleichzeitig auch ihre politische Karriere voran. Im Jahr 2002 wird sie für die CSU, der sie seit 1984 angehört, in den Ingolstädter Stadtrat gewählt. Sie ist Vorsitzende der Frauen-Union im Kreisverband Ingolstadt, überdies Mitglied des FU-Landesvorstands. Im September 2003 zieht sie als Direktkandidatin für den Stimmkreis Ingolstadt/Neuburg in den Landtag ein. Im Oktober 2007 wird sie CSU-Generalsekretärin, im Jahr darauf ruft sie Ministerpräsident Horst Seehofer als Ministerin für Arbeit und Sozialordnung in sein Kabinett, im Oktober 2013 übernimmt sie die Leitung der Staatskanzlei.

Eine beeindruckende Polit-Laufbahn. Aber auch eine Karriere, die ihren Preis fordert. Einen hohen Preis: „Sie hat alles auf die Karte Politik gesetzt und ihr ganzes Leben danach ausgerichtet“, sagt ein Stadtrats- und Parteikollege aus Ingolstadt, „als Privatmensch gibt es Christine Haderthauer eigentlich nicht mehr.“

Ihr Interesse gilt fast ausschließlich der großen, also bayerischen Politik. Seit die Kinder aus dem Haus sind, verfolgt Christine Haderthauer mit all ihrem Ehrgeiz und ihrer ganzen Energie ein Ziel: Sie will in der Politik hoch, ganz hoch hinaus. Sie komme, hat sie selbst einmal im Gespräch mit unserer Zeitung gesagt, auf eine 89-Stunden-Arbeitswoche. Sie stellt das nüchtern fest, ohne Wehleidigkeit. Einen Tag im Monat halte sie sich frei – für die Familie, zum Auftanken. Mehr Muße mag sich ein Homo politicus wie sie nicht gönnen.

Und obzwar Quereinsteigerin, hat sie die Regeln des politischen Geschäfts längst verinnerlicht: sich unentbehrlich machen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Eigenwerbung betreiben. Als Horst Seehofer mit Blick auf die Landtagswahl 2013 im September 2012 die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner nach Bayern zurückholte, sagte Christine Haderthauer im Gespräch mit unserer Zeitung über die neue Konkurrentin im Kampf um höchste politische Weihen im Freistaat Bemerkenswertes: „Wir ergänzen uns gut: sie mit Themen für den ländlichen Raum, ich für die Stadt, sie als Alleinstehende und kinderlos, ich als Frau mit Familie, sie als Politikerin von der Pike auf, ich als Quereinsteigerin.“ So klingt ein vergiftetes Kompliment.

Denn natürlich – das hat Christine Haderthauer mehr als einmal klar gemacht – traut sie sich auch das Amt einer bayerischen Ministerpräsidentin zu. Oder besser gesagt: Sie traute es sich zu, ehe die Modellbau-Affäre ihren Ambitionen ein Ende setzte. Allzu lange hatte sie die immer massiver werdenden Vorwürfe wahlweise als „völlig wirre Verschwörungstheorien“ abgetan, als „diffamierend und substanzlos“, als „Sommertheater“ oder als „Empörungswelle“ und „Skandalhysterie“.

In einem Gespräch mit unserer Zeitung hatte sie einmal, wenn auch in anderem Zusammenhang, selbstkritisch eingeräumt: „Dass die äußere Darstellung auch zur Politik gehört, das vernachlässige ich manchmal.“ Da war es wieder, das Bild von der Macherin, die lieber handelt als erklärt; die als Sozialministerin „so viel für Asylbewerber getan hat“ wie niemand vor ihr; die als Staatskanzleichefin in München den Laden zusammenhält, in Berlin die „Bayern-Erklärerin“ gibt; und die sich freut, wenn ihr Chef Seehofer über sie sagt: „Seit sie da ist, gibt es für mich kaum noch Arbeit.“ Es war dies sicherlich augenzwinkernd gemeint. Aber gemessen an Seehofers gelegentlich harschem Umgang mit seinen potenziellen Kronprinzen und -prinzessinnen kommt eine solche Bemerkung fast schon einem Ritterschlag gleich. Gefallen ist dieser Satz übrigens im Mai – und heute, so schnell kann es gehen, ist er schon nichts mehr wert. Doch da ist ja noch ein anderer dieser typischen Haderthauer-Sätze: In der Politik, hat sie einmal gesagt, gehe es auch darum, „Schläge, die man in der ersten Reihe bekommt, sportlich einzustecken“.