Ingolstadt
Da fließt Energie ohne Ende

28.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:15 Uhr

Läuft wie geschmiert: Werner Böhm versorgt den Generator der ehemaligen Generatorenschmiede AvK mit einer Ladung aus der Fettpresse (links). Via Webcam überwacht Michael Böhm den Rechen (rechts) – er schaut, ob sich darin Treibgut verfangen hat.

Ingolstadt (DK) Das Wasser rauscht, der Generator brummt, im Geldbeutel klimpert es: Stromgewinnung aus Wasserkraft – das klingt gut. Auch kleine Triebwerke wie das der Energiegesellschaft Böhm in Ebenhausen-Werk speisen ins Netz und arbeiten rentabel. Die Paar ist die kostenlose Kraftquelle.

Ebenhausen-Werk – das ist eine Welt für sich. Etliche Betriebe sind in dem Ortsteil im Landkreis Pfaffenhofen angesiedelt, darunter die bekannte Gesellschaft für Sonderabfall-Entsorgung Bayern GSB. Umgeben von Wald sind verlassene Industriebauten dem Verfall preisgegeben. Und überall Wasserarme: die Paar, der Werk- und der Flutkanal.

Das Böhm’sche Wasserkraftwerk liegt versteckt auf dem verwilderten Gelände der einstigen königlich-bayerischen Pulverfabrik: Sie wurde wegen der Nähe zur Landesfestung Ingolstadt an der Paar errichtet und nahm 1865 ihren Betrieb auf. Fortan wurde fleißig produziert, ungeachtet etlicher Explosionen, bis gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Tiefflieger die Industrieanlage weitgehend zerstörten. Abgesehen von ein paar überwucherten Ruinen ist heute nicht mehr viel zu sehen.

Den Strom für die Pulvermühle lieferten seinerzeit drei Triebwerke, die heute in Privatbesitz sind. Eines davon gehört seit 1988 Michael und Werner Böhm aus Ingolstadt, die sich aus Leidenschaft für Technik für den Kauf entschieden. Die Brüder hatten damals erhebliche Probleme, ihre hochspekulative Investition zu finanzieren. Nicht etwa, weil Zweifel an ihrer Kreditwürdigkeit bestanden – die Banken glaubten einfach nicht an die Zukunft der Wasserkraft. „Sie setzen aufs falsche Pferd“, mussten sich die Böhms immer wieder anhören. Denn damals floss reichlich billiger Atomstrom aus Frankreich. Doch die Ingolstädter glaubten an ihr Vorhaben. „Wasser ist eine beständige Energiequelle, und dieses Potenzial erkannten wir schon damals.“

Die Geschichte hat ihnen recht gegeben. Heute werden Atomkraftwerke abgeschaltet, erneuerbare Energien aus Wasser, Wind oder Sonne sind die Zukunft. Die Ingolstädter haben in den vergangenen Jahren allerdings auch viel in ihre Anlage investiert. „Früher wurde alles manuell gesteuert, und hier haben vier bis fünf Leute rund um die Uhr gearbeitet“, erklärt Werner Böhm. „Heute läuft alles vollautomatisch, und wir können daheim am PC nachschauen, ob alles in Ordnung ist oder wir ausrücken müssen.“ Pegelstand oder Einspeiseleistung – der Computer zeichnet alle Daten auf und meldet sie weiter. Eine Webcam kontrolliert sogar, ob Treibgut im Rechen hängen geblieben ist und entfernt werden muss. Störmeldungen, etwa bei Netzausfall, gehen direkt aufs Mobiltelefon.

Wassermenge mal Gefälle – das ist die Formel für die Energiegewinnung. Durch den Werkkanal fließen 7500 Liter pro Sekunde. Die Fallhöhe beträgt 2,50 Meter. Das Wasser treibt eine sogenannte Francis-Turbine an, die es auf 50 Umdrehungen pro Minute bringt. Ein Getriebe übersetzt auf etwa 750 Umdrehungen und treibt den Generator an, der die mechanische Energie in Strom umwandelt. Es handelt sich um ein Exemplar aus der ehemaligen Ingolstädter Generatorenschmiede AvK. „So eine Qualität bekommen wir heute nicht mehr“, sagt Michael Böhm und lobt die hohe Betriebsdauer der Anlage: „Wir brauchen nur 20 Wartungsstunden pro Jahr.“

So ein Arbeitspensum ist nur deshalb möglich, weil die Paar selbst in trockenen Sommern stets Wasser führt. „Sie ist eines der beständigsten Gewässer. Mit dem Werk- und Flutkanal können wir die Anlage sogar bei Hochwasser weiterfahren“, erklärt Michael Böhm.

So produziert das kleine Laufwasserkraftwerk Strom für etwa 330 Haushalte – „und zwar kohlendioxidfrei und wetterunabhängig“, sagt Werner Böhm. Weil die Anlage über eine Fischtreppe und einen fischfreundlichen Rechen mit schmalen Abständen verfügt, bekommt die Energiegesellschaft den Strom nach dem Ökostromgesetz mit 12,7 Cent pro Kilowattstunde vergütet statt der üblichen 7,67 Cent.

Bis 1930 gab es in Bayern noch rund 11 000 Wasserkraftwerke, die den gesamten Strombedarf im Lande deckten. Dann verlor diese traditionelle Energiegewinnung immer mehr an Bedeutung. Übrig geblieben sind heute circa 4000 kleine und große Wasserkraftwerke. So wie das Triebwerk an der Paar oder die Ingolstädter Staustufe, die mit drei Turbinen und Generatoren arbeitet. Sie produziert 122 Millionen Kilowattstunden pro Jahr und liefert Strom für die Bahn. Diese Menge reicht, um mit einem dreiteiligen ICE 140-mal die Erde zu umrunden.