Ingolstadt
Gefährliche Radikalisierung

Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl warnt vor den "Reichsbürgern"

20.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:09 Uhr

Miriam Heigl leitet die Fachstelle für Demokratie der Stadt München. - Foto: Nagy/Stadt München

Ingolstadt (DK) Als "Nazi-Erschreckerin" ist sie in der Presse schon tituliert worden. Miriam Heigl ist die Leiterin der Fachstelle für Demokratie der Stadt München. Wir haben mit der Rechtsextremismus-Expertin über die Gefährlichkeit der sogenannten "Reichsbürger"-Bewegung gesprochen, der auch der Todesschütze von Georgensgmünd zugerechnet wird.

Frau Heigl, sind die sogenannten Reichsbürger in München und der Region schon auffällig geworden?

Miriam Heigl: Es gab in München in diesem Jahr insbesondere einen Fall, in dem ein "Reichsbürger" aufgetaucht ist und auch aktiv für diese Bewegung geworben hat. Problematischerweise war dieser Mensch bei der Sicherheitswacht aktiv. Das ist eine Einrichtung der bayerischen Polizei, bei der Freiwillige die Polizei unterstützen und so das Sicherheitsgefühl der Bürger stärken sollen. Man kann sich vorstellen, dass so eine Tätigkeit auch für Leute aus der "Reichsbürger"-Bewegung attraktiv ist.

 

Sehen Sie bei dieser Bewegung eine zunehmende Tendenz? Werden die mehr?

Heigl: Wir sind nicht der Verfassungsschutz, wir zählen nicht nach. Was wir aber feststellen, ist, dass die staatsfeindliche Ideologie der extremen Rechten massiv um sich greift. Wir hatten ja Anfang des Jahres diese Tendenz zu Bürgerwehren. Dahinter steht im Grunde dieselbe Ideologie. Das ist die Vorstellung, dieser Staat sei nicht mehr unserer, er beschütze uns nicht, er verteidige uns nicht. Und deshalb habe man das Recht, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Die Ablehnung unseres demokratischen Gemeinwesens durch extrem rechte Personen nimmt zu, das muss man ganz klar sagen.

 

Wie würden Sie denn diese "Reichsbürger" einstufen? Sind das eher Spinner oder doch harte Rechtsradikale?

Heigl: Wir sollten uns davor hüten, zu sagen, dass Leute spinnen, wenn es um rechtsextreme oder rassistische Ideologien geht. Natürlich kommt einem das aus einem demokratischen Blickwinkel betrachtet absurd vor. Aber man darf die Gefährlichkeit dieser Ideologien nicht unterschätzen. Deshalb ist "Spinner" sicherlich der falsche Begriff. Das sind Leute, die unser demokratisches Gemeinwesen und die Verfassung nicht nur ablehnen, sondern auch anfangen, aktiv dagegen zu handeln durch Sabotage oder auch Gewalt. Das ist eine sehr problematische Tendenz, die unser Gemeinwesen untergräbt.

 

Haben wir das Gewaltpotenzial dieser Leute unterschätzt?

Heigl: Ja. Man konnte aus anderen Bundesländern immer wieder hören, dass dort "Reichsbürger" gewalttätig geworden sind. Die Amadeo-Antonio-Stiftung gegen Rechtsextremismus hat zum Beispiel schon vor über einem Jahr eine Broschüre herausgegeben, in der sie ganz explizit davor warnt, die Gewalttätigkeit der "Reichsbürger" zu unterschätzen. Wenn man das Problem immer erst dann sieht, wenn es zu Gewalttaten kommt, ist es eigentlich schon zu spät. Die Radikalisierung im Kopf findet ja vorher statt. Und die ist Auslöser für das Handeln.

 

Warum tauchen die "Reichsbürger" eigentlich nicht im bayerischen Verfassungsschutzbericht auf?

Heigl: Da müssten Sie den Verfassungsschutz selbst fragen. In anderen Bundesländern wird die Bewegung durchaus im Verfassungsschutzbericht genannt.

 

Haben Sie ein Gegenmittel? Was kann man gegen diese grassierende Staatsfeindlichkeit tun?

Heigl: Ein Patentrezept hat niemand. Eine konsequente Beobachtung und Strafverfolgung ist natürlich ein Element. Aber wir brauchen auch mehr Bürgerinnen und Bürger, die sich mit dieser Radikalisierung im Kopf auseinandersetzen, die für demokratische Werte einstehen. Wir müssen im Alltag sensibel sein für diese Tendenzen und im Zweifelsfall auch dagegenhalten.

 

Die Fragen stellte

Johannes Greiner.