Ingolstadt
Kleines Gedicht, großes Aufsehen

Ivan Stojanovski aus Ingolstadt gewinnt einen Literaturpreis für Menschen mit Beeinträchtigungen

16.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Stolz auf sein Gedicht im Kalender: Ivan Stojanovski hat bei einem Wettbewerb des Vereins Wort-Finder mitgemacht und über einen Zirkusbesuch geschrieben. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Er spricht sehr leise - man kann ihn so gut wie nicht verstehen. Höchstens einige Worte. Mal presst er die Silben hervor, mal haucht er die Worte nur mit dem Atem aus. "Stolz." Nur das geschulte Ohr vermag zu deuten, was er sagt. Er liest viel, und er schreibt auch gern. Jetzt hat er sogar einen Literaturpreis gewonnen - bei einem ganz besonderen Schreibwettbewerb in Leichter Sprache. Darauf ist Ivan Stojanovski stolz.

Der 46-Jährige stammt aus Serbien und kam mit seinen Eltern als kleiner Bub nach Deutschland. Er ist Spastiker und hat kognitive Einschränkungen - so der korrekte Sprachgebrauch. Bevor er nach Ingolstadt kam, wurde Stojanovski zehn Jahre lang in einem Spastikerzentrum in München betreut. Jetzt lebt er in der Wohngruppe St. Anna. Schön sei es dort, meint er: "So kleine Gruppen." Lange hat er in den Werkstätten der Lebenshilfe gearbeitet, heuer ging er in Rente. Oft ist er nun im Caritas-Zentrum St. Vinzenz bei der Offenen Behindertenarbeit (OBA).

Wie alle Ruheständler hat er jetzt viel Zeit für seine Hobbys. Der 46-Jährige reist für sein Leben gern. "Man sieht viel." Vor Kurzem hat er Urlaub in Spanien gemacht. Seine große Leidenschaft ist jedoch das Segeln: Stojanovski ist Mitglied im Verein Special Sailing. Über einen Törn entlang der kroatischen Küste hat er eine Geschichte für die Vereinszeitschrift geschrieben.

Sein Lieblingsbuch, so erzählt er, sei "Bob der Streuner". Die wahre Geschichte handelt von einem Kater, der das Leben eines drogenabhängigen Straßenmusikers veränderte. Ob er auch so eine Art Streuner sei? Stojanovski lacht laut los. "Vielleicht bin ich mit dem verwandt."

Und jetzt ist er fast genauso berühmt wie jener Kater Bob: In der aktuellen Zeitschrift der Offenen Behinderten-Arbeit "OBAcht" wird berichtet, dass Ivan Stojanovski einen Literaturpreis gewonnen hat - ausgelobt vom Verein Wort-Finder. Der hat sich zum Ziel gesetzt, das kreative Schreiben und die Literatur sowie die damit einhergehenden künstlerischen Gestaltungen von Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen wie Autismus, Lernschwierigkeiten oder Demenz zu fördern.

Mehr als 1000 Beiträge wurden heuer für den Wettbewerb der Wortfinder zum Thema "Von großen und von kleinen Dingen" eingereicht, eine Jury hat die besten für den Literaturkalender 2018 ausgewählt: lange Geschichten und kurze Gedichte von Menschen mit Lerneinschränkungen. Der Text von Ivan Stojanovski ist mit dabei - der Titel: "Zirkus". Der 46-Jährige schildert mit seinen Worten einen Besuch dort: "Im Zirkus./ Gibt es viel zu sehn./ Große Leute kleine Leute./ Große Tiere kleine Tiere./ Große Artisten kleine Artisten./ Das war ein große Tag./ Danach kam ein kleine Tag." Darunter prangt sein Name.

Seine Sprache ist das. Die Leichte Sprache, die auch Menschen mit Behinderungen verstehen können (siehe Infokasten). Stojanovski kennt sich gut aus mit dieser Sprache, denn er gehört zu einer Gruppe von Menschen, die diese Texte auf ihre Verständlichkeit hin prüft. Etwa die Berichte in "OBAcht". Der 46-Jährige erklärt: "Man liest sich das durch und überlegt sich, ob das leicht ist und ob man das versteht." Wenn ja, dann gilt der Text als übersetzt in Leichte Sprache. "Es ist wichtig, dass unsere Prüfer sich trauen zu sagen, wenn etwas nicht passt", erklärt OBA-Bereichsleiterin Conny Eichlinger. Stojanovski sei so ein Mensch: "Er nimmt an vielen Unternehmungen teil und sagt klar, was ihm gefällt und was nicht. Er macht konstruktive Vorschläge. Das ist für unsere Arbeit sehr wichtig."

Diana Licklederer betreut diese Prüfergruppe, und sie versteht auch, wenn Stojanovski spricht. Ohne sie wäre ein Interview mit unserer Zeitung nicht möglich gewesen. Geduldig hört sie zu, fragt nach. Und so erzählt der 46-Jährige auch ausführlicher von der Preisverleihung der Wortfinder, zu der er im September mit einem ehrenamtlichen Begleiter nach Bielefeld reiste.

Eine lange Zugfahrt sei das gewesen, mit einmal Umsteigen. Die Veranstaltung habe lange gedauert, sei dann aber ganz schnell zu Ende gewesen. Leider seien die Preisträger nicht miteinander ins Gespräch gekommen. "Aber nachher sind wir auf einen Absacker in die Hotelbar. Und dann haben wir eine Gruppe getroffen." Wieder lacht Stojanovski laut heraus - ein Zeichen, dass es ihm gefallen hat. Nächstes Jahr will er wieder mitmachen bei dem Wettbewerb.