Die Zeichen der Zeit

01.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:42 Uhr

Neuer Glanz für die Schlosskirche in Sandizell: Die Ziffernblätter sind in Regensburg restauriert worden.

Ein Blick nach oben, und man weiß, was die Stunde geschlagen hat. Von lichten Höhen herab zeigt sie den Lauf der Zeit - die Turmuhr. Aber manchmal braucht auch sie eine Pause.

Jetzt liegt sie da. Flach auf dem Boden in den Niederungen des Alltags. Verkratzt. Blass die Farbe auf dem Ziffernblatt und auch ein wenig zerdellt an Rändern und Zeigern. Es ist ja ein Kreuz mit der Zeit. Niemals nagt sie am eigenen Leib, könnte man klagen. Immer jagt sie alles vor sich her. Zerzaust Material und Gewerk. Da nützt es auch nichts, wenn ihre Gehilfen, die Chronometer, hoch oben an den Kirchtürmen prangen.

Seit Jahrhunderten diktieren sie den Alltag der Menschen. Das erste Uhrwerk soll im 12. Jahrhundert den Glockenschlag bestimmt haben. 1336 soll in Mailand die erste Uhr an einem Turm angebracht worden sein. Noch ohne Zeiger. Etwa 1500 gab der erste Zeiger die Stunde an. Und erst um 1700 herum zählt ein zweiter auch Minuten. Im Mittelalter folgte das Leben dem Lauf der Sonne. Für die Nacht gab es das Stundenglas oder den sogenannten Kerzenwecker. Schöne, aber ungenaue Zeitgeber. Erst die Industrialisierung, genauer gesagt die Eisenbahn, brachte Ordnung in die Zeit und die Uhren hinauf auch auf andere Türme.

Im frühen 20. Jahrhundert übernahm der erste elektromechanische Motor das Aufziehen der oft großzügig gebauten Uhrwerke. Heute ist das Herz einer Turmuhr oft nur noch ein spröder Metallkasten mit einigen Platinen darin. Das Leben reduziert und zerlegt in Sekunden, Milli- und Mikrosekunden, Nano- und Picosekunden. Aber was nützt all das Philosophieren? Die Turmuhr von Haindlfing bei Freising brauchte eine Pause und fürsorgliches Handwerk. Über Wochen lag sie in der Werkstatt des Regensburger Turmuhrenbauers Rauscher. Mühsam hatte Feinmechaniker Alexander König die vier Ziffernblätter grundiert, lackiert und wieder lackiert. Jedes von ihnen misst 1,5 Meter im Durchmesser. "Das ist ein wirklich kleines Blatt", sagt er. Oft liegen die Teile wegen ihrer Größe halbiert oder geviertelt vor ihm. Müssen mit Hubkränen oder Aufzügen hinauf- und heruntergehievt werden. Tiefschwarz leuchten jetzt die römischen Ziffern auf weißem Grund. Zwischen all den alten und verbeulten Zeigern an den Werkstattwänden des Oberpfälzer Familienbetriebs und den Uhrwerken aus längst vergangenen Tagen wurden auch diese Zeiger wieder aufgepäppelt.

Für das Prägen der Kupferbleche benutzt König noch immer den alten Hammer, mit dem schon Firmengründer Georg Rauscher die Zeiger in Form brachte. Die mechanischen Zeigerwerke sind neu gerichtet und geschmiert. Und eine hauchdünne Schicht 24-Karat-Blattgold gibt den barocken Zeigern neuen Glanz. Darunter sind sie gelb lackiert. Damit nicht jeder kleine Kratzer unschön durchscheint.

Jetzt ist es so weit. Die Turmuhr muss zurück auf den Turm. 40 Meter über dem Kirchplatz und dem kleinen Friedhof von Haindlfing. Oft sind die Türme jedoch höher. An der katholischen Kirche Aham zum Beispiel oder an der Schlosskirche in Sandizell bei Schrobenhausen, wo morgen die restaurierten Ziffernblätter montiert werden. Auch im Ausland an den Minaretten der Moscheen können sie leicht das Doppelte und Dreifache an Höhe erreichen. Aber moderne Materialien wie Duroplast, ein glasfaserverstärktes Polyester, sind leichter als die alten Bleche - und wetterstabil obendrein.

"Schwindelfrei sollte man sein", sagt Siegmund Aurich, der die Ziffernblätter an einem langen Seil vor der Bauplane den Kirchturm hinaufzieht. Auf dem Baugerüst geht ein frischer Wind, und dunkle Wolken kündigen Regen an. Aurich und der zweite Monteur, Erhard Pritschet, sind ein eingespieltes Team. Während Aurich die Ziffernblätter mit dem Mauerwerk des Kirchturms verschraubt, klettert Pritschet im engen Gebälk herum zwischen Spinnweben, modrigen Treppenstufen und Glockenstuhl. Durch ein kleines Loch im himmelblauen Spiegel des Ziffernblatts schiebt er von innen die Kurbelwelle des Zeigerwerks. Aurich montiert darauf die Zeiger. Unten geht das Leben seinen Gang. Oben am Turm tüfteln die Uhrmechaniker, kämpfen um jeden Millimeter, weil das alte Gewerk eben nicht nur Charme, sondern auch so seine Tücken hat.

Das alte Uhrwerk ist auch hier längst Geschichte. Die Zeiger laufen zwar noch immer mechanisch, ihren Impuls aber bekommen sie von der digitalen Uhr in der Sakristei. Die wiederum erhält das Funksignal von der Atomuhr der Physikalisch-Technischen Anstalt in Braunschweig. Am Ende werden Zeigerwerk, Zeiger und der digitale Timer synchronisiert. Eine halbe Minute vor. Zwei zurück. Klack, klack, klack. Geschafft: Hoch oben über Bayern läuft wieder die Zeit.