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"Man kann fast alles satirisch aufarbeiten"

14.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:21 Uhr

Stefan Sichermann, der Gründer der Satireseite www.der-postillon.com im Interview mit dem Donaukurier.

Herr Sichermann, wie kann man sich Ihren Arbeitstag vorstellen?

Stefan Sichermann: Ich beantworte viele E-Mails, und zu Beginn des Tages versuche ich, viele Nachrichten durchzuarbeiten, um zu sehen, was die aktuellen Themen sind. Dann kommt der Punkt, an dem ich schreibe. Mittlerweile habe ich außerdem einige Mitarbeiter, mit denen ich Rücksprache halte und per E-Mail in Kontakt stehe.

 

Läuft der Blog inzwischen so gut, dass Sie sich Mitarbeiter leisten können oder schaffen Sie die Arbeit einfach nicht mehr alleine?

Sichermann: Beides. Einerseits kann ich es mir inzwischen leisten – das ist cool. Und ich mag es auch, jemandem Arbeit bieten zu können. Andererseits schaffe ich es nicht mehr alleine. Wir versuchen seit einigen Monaten, zwei oder drei Hauptartikel statt einem zu haben.

 

Und wenn Sie mal eine Blockade haben?

Sichermann: Das hat die letzten fünf, sechs Jahre eigentlich immer ganz gut funktioniert. Es gibt schon Tage, an denen es nicht ganz einfach ist und dann bin ich nicht mehr so kritisch. Außerdem habe ich einige zeitlose Themen in der Hinterhand, auf die ich zurückgreifen kann.

 

Aber meist greifen Sie eine aktuelle Nachricht auf, oder?

Sichermann: Nicht zwangsläufig. Es gibt schon immer wieder mal Nonsens, der keinen aktuellen Bezug hat. Oder man hat länger angelegte Themen, die nicht zu einem bestimmten Termin erscheinen müssen. Ich versuche, zu gewichten und eine gute Mischung aus Tagesaktuellem und Zeitlosem zu haben. Ich versuche, bei den Themen abzuwechseln und unterschiedliche Arten von Humor zu verwenden – also mal eine Blickwinkeländerung, eine Überzeichnung oder eine komplette Umdrehung einer Nachricht.

 

Hat Satire Grenzen?

Sichermann: Für mich sind die Grenzen, wenn ich etwas nicht mehr vertreten kann. Aber wenn man eine Grenze ziehen möchte, muss man sie an der Stelle eigentlich gleich wieder einreißen. Man sollte sich auf jeden Fall Gedanken darüber machen, was man macht und wen man damit verletzen könnte. Aber die Grenzen zieht jeder Mensch für sich selbst.

 

Gibt es für Sie ein Tabuthema?

Sichermann: Nein. Es gibt Themen, die erfordern mehr Fingerspitzengefühl – etwa Religion oder ein Unglück mit Todesopfern. Aber ich kann und möchte nichts ausschließen, denn ich finde, man kann fast alles satirisch aufarbeiten.

 

Haben Sie ein Lieblingsthema?

Sichermann: Die FDP war lange Zeit ein gutes Thema, das jetzt mangels FDP ins Hintertreffen geraten ist. Auch alles rund um Religion mag ich ganz gerne.

 

Gibt es dazu dann viele Kommentare von Lesern?

Sichermann: Ja, da gibt es auch negatives Feedback. Entweder, weil die Leute die Satire nicht verstanden haben, oder weil sie der Meinung sind, dass das Christentum nicht für Satire taugt. Die Bösesten aber kommen beim Thema Sport – etwa bei Uli Hoeneß oder bei der deutschen Nationalmannschaft. Da werden Leute richtig sauer. Das sind vielleicht Leute, die sonst nicht so viel Kontakt zu Satire haben und dann empört sind. Aber es hält sich wirklich in Grenzen. Ich denke, dass ich es auf eine Art mache, die nicht verletzend ist.

 

Wie viele Kommentare laufen denn pro Nachricht ein?

Sichermann: Das sind inzwischen ein paar Tausend und auf Facebook noch mal einige Hundert. Es kommen auch viele Mails.

 

Greifen Sie in die Diskussionen ein?

Sichermann: Ziemlich selten, ich lasse es eher laufen und die Leser verhalten sich angemessen. Ich kann auch nicht mehr alles verfolgen, aber es gibt Leute, die mich informieren, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

 

Bekommen Sie häufig Post von Anwälten?

Sichermann: Erstaunlich wenig – dafür, was und wie viel ich mache. Ich wurde einmal von N24 abgemahnt und zweimal angezeigt. Einmal wegen Blasphemie und einmal wegen Beleidigung. Aber das hat sich dann schnell erledigt.

 

Wie viele Besucher hat Ihre Seite denn im Moment?

Sichermann: Der Juli war der Rekordmonat, da hatte ich 20 Millionen Seitenaufrufe.

 

Was war Ihr bisher erfolgreichster Artikel?

Sichermann: Das waren eigentlich drei. Der Text zum Sprung von Felix Baumgartner („Linie übertreten: Rekordsprung aus 39 Kilometern Höhe für ungültig erklärt“) und zwei zur deutschen Nationalmannschaft: „Bitter! WM-Aus für Deutschland nach nur sieben Spielen“ und nach dem Halbfinale: „Kneipenwirt, der für jedes deutsche Tor einen Schnaps gratis versprochen hat, pleite“. Der wurde in Osteuropa weit verbreitet, auch im Staatsfernsehen. Die Kommentarspalte unter dem Text war voll mit Beiträgen von Leuten, die ausgerechnet haben, dass der Wirt maximal 400 Euro draufbezahlen musste. Und davon kann man nicht pleitegehen.

 

Wie häufig wurden diese Artikel aufgerufen?

Sichermann: Das geht auch an die 20 Millionen. Aber solche Treffer kann man nicht erzwingen, manchmal passiert es eben. Gelegentlich denke ich, der Text ist jetzt richtig gut und dann geht er bei den Lesern unter. Das ist schwer zu planen. Natürlich habe ich ein Grundgefühl und meistens passt das ja auch.

 

Legen Sie die Artikel vorm Veröffentlichen noch jemandem vor?

Sichermann: Ja, meistens schon. Normalerweise meiner Freundin.

 

Und wenn sie sagt, der Text ist totaler Mist – gehen Sie dann nochmal in sich?

Sichermann: Ja, ich höre darauf. Außer ich habe ein extrem anderes Gefühl und veröffentliche den Artikel trotzdem. Mal habe ich recht, mal sie.

 

Haben Sie einen Lieblingsartikel?

Sichermann: Nein, eigentlich nicht. Aber ich mag die zeitlosen, die absurden Geschichten am liebsten.

 

Hatten Sie schon immer ein besonderes Gefühl für Satire?

Sichermann: Ich war schon immer jemand, der versucht hat, lustig zu sein. Ich habe aber erst mit 25 Jahren angefangen, „Titanic“ zu lesen und fand das anfangs viel zu derb. Satirisch zu schreiben habe ich ernsthaft erst mit 28 begonnen, also mit dem Start des „Postillon“.

 

Erwarten Ihre Freunde, unterhalten zu werden?

Sichermann: Nein, Gott sei Dank nicht. Ich bin ja auch kein Stand-up-Comedian und stehe auf der Bühne, sondern habe Zeit, meinen Humor zu entwickeln. Aber ich bin schon ein lustiger Mensch.

 

Haben Sie immer Stift und Block dabei?

Sichermann: Nein, nicht mehr. Manchmal mache ich Notizen ins Handy. Mir kommen die Ideen inzwischen beim Nachdenken und nicht zufällig. Und manchmal wird ein guter Artikel draus.

 

Und im Urlaub?

Sichermann: Da nehme ich den Laptop immer mit und fluche ganz fürchterlich, wenn ich keinen Empfang habe. Aber meistens veröffentliche ich während dieser Zeit nur Archivartikel. Ich ertrage nicht, dass das Projekt während dieser Zeit ganz still liegt. Momentan kann ich es mir allerdings noch nicht vorstellen, dass ich meine Mitarbeiter komplett allein machen lasse.