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"Tendenz zur Verrohung"

Innenminister de Maizière kritisiert nach dem Amoklauf die sozialen Netzwerke

24.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Innenminister de Maizière kritisiert nach dem Amoklauf die sozialen Netzwerke in unserem Interview.

Herr de Maizière, nach dem Amoklauf des 18-jährigen Deutsch-Iraners steht München unter Schock. Entsetzen und Trauer in ganz Deutschland. Sind wir gegen solche unfassbar grausamen Taten einfach machtlos?

Thomas de Maizière: Diese Gewalttat ist entsetzlich, es zerreißt mir das Herz, wenn ich sehe, wie viele Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, sinnlos ihr Leben lassen mussten. Natürlich frage auch ich mich, wie wohl alle in solchen Fällen: Hätte man das nicht irgendwie verhindern können? In einem Rechtsstaat können die Sicherheitsbehörden eben nicht zu jeder Zeit alles über jeden wissen. Aber die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern leisten unter höchstem Einsatz alles, um die Gefahren für die Bevölkerung so klein zu halten wie es geht, und die Politik muss auch ihren Teil dazu beitragen: Durch die Bereitstellung von mehr Polizei, bessere Ausrüstung, vor allem auch zum Schutz der Sicherheitskräfte.

 

Was wissen die Sicherheitsbehörden über den Täter? Ist zweifelsfrei ausgeschlossen, dass es Verbindungen zum islamistischen Terror und weitere Helfer gab?

De Maizière: Bezüge zum islamistischen Terrorismus sind bislang nicht erkennbar, und es scheint sich nach allem, was wir wissen, um einen Einzeltäter gehandelt zu haben. Über den in München geborenen 18-jährigen Deutsch-Iraner gab es vorher weder polizeiliche noch nachrichtendienstlichen Erkenntnisse. Er wird beschrieben als ein "Sonderling" mit erheblichen psychischen Problemen, der kaum Freunde hatte und von seiner Umgebung gemobbt wurde. Er hat intensiv sogenannte "Egoshooter"-Spiele gespielt und sich offenbar sehr für Amokläufe interessiert, wie wir wegen Büchern wissen, die beim ihm zu Hause gefunden worden sind. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen.

 

Es gab viel Lob für den Polizeieinsatz und die Kommunikation der Einsatzkräfte in München. Was kann man davon lernen?

De Maizière: Die Arbeit der bayerischen Polizei, aber auch die der Bundespolizei und der Unterstützungskräfte aus anderen Bundesländern und aus Österreich war von einer sehr guten Zusammenarbeit und Koordination geprägt. Sie war professionell, und sie war schnell. So muss Polizeiarbeit sein. Das gilt übrigens auch für die beteiligen Rettungskräfte. Auch die Kommunikation der Polizei, insbesondere über die sozialen Medien, war schnell und von präzisen Fakten bestimmt. Das hat zur Versachlichung beigetragen statt Gerüchte zu befördern. Das halte ich genau für den richtigen Weg, und das hat die Bevölkerung auch dankbar angenommen.

 

In den sozialen Netzwerken wurden unmittelbar nach der Tat Vorverurteilungen, jede Menge Hass und auch Falschinformationen sowie Täuschungen verbreitet. Wie kann man dagegen vorgehen?

De Maizière: Ich beobachte in unserer Gesellschaft insgesamt eine Tendenz zur Verrohung. Das fängt mit der Sprache an, vor allem in sozialen Netzwerken und in Foren, wo - häufig unter dem Deckmantel der Anonymität - keine Hemmungen zu bestehen scheinen und häufig ein hasserfüllter Ton an der Tagesordnung ist. Ich habe Sorge, dass sich solche Worte nach und nach auch in Taten niederschlagen. Seine Meinung zu äußern, ist gut und richtig und in einer Demokratie absolut notwendig. Aber der Respekt vor dem Gegenüber muss dabei gewahrt bleiben. Ich finde, dass wir zu einem solchen Verhalten deutlich Stellung beziehen müssen, und das tue ich auch. Auch die Tendenz zur Verbreitung von Gerüchten ist keine gute Entwicklung. Der Missbrauch von Notrufen und die Behinderung von Rettungsmaßnahmen sind ja auch strafbar.

 

Einmal mehr wird der Ruf nach mehr Polizei, Stärkung der Geheimdienste, schärferen Gesetzen und dem Einsatz der Bundeswehr auch im Innern laut, um die Sicherheit zu erhöhen und den Terror zu bekämpfen. Sehen Sie auch Handlungsbedarf?

De Maizière: Auch ich halte starke Sicherheitsbehörden für notwendig, aber nicht erst seit München, sondern schon immer. Deswegen geht die Bundesregierung schon lange den Weg, das Personal der Sicherheitsbehörden zu stärken, mit über 4600 Stellen allein in dieser Legislaturperiode. Ich freue mich, dass inzwischen auch viele Länder nachziehen. Wir haben auch eine ganze Reihe von Gesetzen verschärft beziehungsweise neu geschaffen. Jetzt ist die Zeit dafür, diese neuen Gesetze schnell umzusetzen. Alles Weitere wird man sehen.

 

Das Interview führte Andreas Herholz.