Hallbergmoos
Segen und Fluch zugleich

Wie Hallbergmoos als direkter Nachbar des Münchner Airports wuchs und gedieh, aber auch mit den Schattenseiten kämpft

15.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:07 Uhr

Hallbergmoos (DK) Die Armenkolonie. So hatten sie die Siedlung Hallbergmoos genannt, als Theodor Freiherr von Hallberg-Broich einst Schloss Birkeneck auf dem heutigen Gemeindegebiet im Kreis Freising gekauft und 1830 damit begonnen hatte, die Moorflächen im Erdinger Moos trocken zu legen.

Bald kamen die ersten Siedler, bauten Häuser und fristeten ein kärgliches Dasein. Hallbergmoos blieb lange Zeit bäuerlich geprägt, bis vor einem Vierteljahrhundert. Mit dem Bau des Münchner Flughafens in direkter Nachbarschaft machte der Ort ungeahnte Entwicklungen durch, deren Ende nicht abzusehen ist.

Die Widerstände waren groß gewesen, als die bayerische Landesregierung ihre Pläne, den Flughafen von Riem ins Erdinger Moos zu verlegen, bekannt gab. Viele Hallbergmooser und Bewohner anderer Gemeinden machten gegen das Vorhaben mobil. Am Ende, als alle juristischen Instanzen den Bauherren recht gegeben hatten, blieb nichts anderes, als die Fakten hinzunehmen - oder wegzuziehen. Das taten einige, aber viele mehr kamen im Sog des Flughafens hierher. "Damals, als ich 1978 im Rathaus angefangen habe, gab es in Hallbergmoos 3300 Einwohner", sagt Herbert Kestler, Leiter des Bürgermeisterbüros. "Heute sind es fast 11 000. Vorher haben viele Menschen als Bauern gelebt, jetzt haben wir eine bunte Mischung."

Schmucke Häuser säumen die Straßen, zahlreiche Geschäfte mit hübschen Fassaden warten auf Kundschaft, ein großes Gewerbegebiet entstand. Heute floriert die Wirtschaft, Armut sieht anders aus. Mövenpick kam ebenso wie die Deutsche Bank oder Betriebe aus der Computer- und Kommunikationsbranche und flughafenabhängige Firmen.

Apotheken, Ärzte, zwei Horte, vier Kindergärten, zwei Krippen, Schulen, Sportanlagen - es fehlt an nichts. Der Gewerbesteueransatz liegt heuer bei 29 Millionen Euro. Da lässt es sich gut haushalten. Hallbergmoos gilt mit einem Altersdurchschnitt von 38,4 Jahren als jüngste Gemeinde Bayerns, auf 53 Sterbefälle kamen zuletzt 136 Geburten im Jahr. Man kann also zufrieden sein, oder?

"Die Kehrseite muss man auch sehen", hebt Kestler den Finger. "Das Leben ist teuer geworden. Mieten und Grundstückspreise steigen weiter, das können sich viele kaum leisten." Im Ort existiert eine Tafel, wo Bedürftige Lebensmittel erhalten, sowie eine Nachbarschaftshilfe. Obdachlosigkeit ist durchaus ein Thema. "Früher gab's das nicht", sagt Kestler. Manche könnten nicht mal die Kindergartengebühren bezahlen. Nur die wenigsten Flughafenbeschäftigten gehören zum Management mit viel Gehalt.

"Die Fluktuation im Ort ist hoch", erzählt eine Verkäuferin in einer Bäckerei unweit des Rathauses. "Die Leute arbeiten einige Zeit hier, dann sind sie wieder weg", sagt die 37-Jährige. Aurelia Bortolini von der Eisdiele gefällt es trotzdem, das Geschäft gehe gut. Und der Fluglärm, der viele stört? "Das ist nicht so schlimm, man gewöhnt sich dran." Das starke Verkehrsaufkommen rundherum ist ein anderes Thema.

Hallbergmoos hängt vom großen Nachbarn ab, nahezu ganz und gar. "Aber die meisten haben sich längst mit dem Flughafen arrangiert", heißt es im Rathaus. Trotz der Nachteile sei er ein Gewinn für alle Seiten. Aber es ist wie mit Audi in Ingolstadt: Was passiert, sollte die Quelle einmal versiegen