Graben
Karls großes Scheitern

Fossa Carolina: Archäologen haben die Stelle gefunden, an der die Arbeiten aufgegeben wurden

29.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:22 Uhr

Foto: DK

Graben (DK) Was sollte schon schiefgehen? Der Plan war bestechend, fachkundige Ingenieure vorhanden, tüchtige Arbeiter in ausreichender Zahl an Ort und Stelle, und der Herrscher hatte das Projekt zur Chefsache erklärt und persönlich das Oberkommando übernommen. Doch die hochfliegenden Pläne versandeten. Das Vorhaben wurde begonnen, weit vorangetrieben, aber nie vollendet.

Die Rede ist vom geheimnisumwitterten Karlsgraben zwischen Treuchtlingen und Weißenburg. Seit vier Jahren nimmt ihn eine Forschungsgruppe unter die Lupe. Vor sechs Wochen hat eine neue Grabungskampagne begonnen, die noch zwei Wochen andauern wird. Die bisherigen Erkenntnisse sind hochspannend.

Der Kanal Karls des Großen sollte die Flusssysteme des Mains und der Donau miteinander verbinden. Zwischen Weißenburg und Treuchtlingen kommen sich beide in Gestalt der Altmühl und der Rezat sehr nahe. Gerade mal zwei Kilometer Luftlinie auf kaum hügeligem Gelände mussten überbrückt werden. Das müsste zu schaffen sein, dürften sich König Karl und seine Fachleute gedacht haben und machten sich ans Werk. Die Einhard-Chronik berichtet darüber.

"Seit mehr als 100 Jahren treibt der Karlsgraben die Menschen um", sagt Grabungsleiter Lukas Werther. Ein mächtiges Stück der Fossa Carolina ist beim Ort Graben erhalten geblieben. Doch was ist mit dem Rest? Wurde der Kanal fertiggestellt oder aufgegeben, wie Einhard berichtet? War er funktionstüchtig? Vor allem: Ist er überhaupt im frühen Mittelalter entstanden oder haben die Römer hier gebuddelt?

Vor drei Jahren wollten Werther und seine Mitarbeiter von der Universität Jena, unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, es genau wissen und griffen zum Spaten. Sie stießen auf Eichenbalken im früheren Kanal; die Stämme dazu wurden im Spätsommer und Herbst 793 gefällt. Das deckt sich exakt mit Einhards Chronik. Auf römische Relikte seien sie nicht gestoßen, versichert der Archäologe. Die damalige Grabung ergab, dass der Kanal zumindest an dieser Stelle funktionstüchtig gewesen sein muss.

Heuer versuchten er und sein Team es weiter nördlich, an zwei Stellen: einmal wenige Hundert Meter von der Rezat entfernt und dann direkt an dem kleinen Gewässer. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Die größere Grabung, ein rechtwinkliger Schnitt zum Kanal, zeigt, dass hier die Arbeiten mitten im Bau abgebrochen sein müssen. Die Fossa Carolina ist auf eine Breite von fünf Metern ausgeschachtet, eine Seite sorgfältig mit einer Spundwand versehen, die andere Seite dagegen nicht. Lediglich ein einzelner Pfahl kam zum Vorschein, der aber nicht planmäßig eingebracht wurde, sondern wie hereingerutscht wirkt. Ebenso aufschlussreich ist der Verlauf direkt an der Rezat. Hier existiert lediglich eine schmale Rinne, die als Drainagegraben interpretiert werden könne, schlussfolgert Werther. Er stellt sich die Sache so vor, dass Karls Arbeiter zunächst die Entwässerung der Baustelle sicherstellten. Die Baugruben wären sonst vollgelaufen. Dieser Drainagegraben wurde dann zum eigentlichen Kanal verbreitert und vertieft; soweit kamen die Bauleute hier aber nicht.

Ein weiterer aufschlussreicher Fund besteht in Weidenmatten an der Kanalsohle. Sie dienten offensichtlich dazu, dass die Arbeiter nicht im Matsch einsanken. Diese Matten sollen nun im Stück geborgen und konserviert werden, ebenso die Holzfunde. Werther lobt die Ingenieurskunst der Karolinger. Die Flucht des Kanals ist exakt eingemessen. Er macht nur einen Knick, um einen Hügel zu umgehen. Die Kanalsohle weist bis auf wenige Zentimeter eine gleich hohe Sohle auf. Die Technik geht zwar auf die Römer zurück, doch die frühmittelalterlichen Bauleute wussten sie nach wie vor einzusetzen.

Viele Fragen sind also geklärt, weit mehr bleiben oder tun sich auf. Wenn der Bau so weit gediehen war, warum wurde er nicht vollendet? Warum sind Karls Bautrupps nicht im nächsten Frühjahr wiedergekommen? Fest scheint zu stehen, dass die Baustelle offen gelassen wurde.

Dazu hat Werther mehrere Theorien im Angebot. Der Winter habe der Baustelle so zugesetzt, dass die Schäden irreparabel erschienen. Möglicherweise wurde den Ingenieuren aber auch klar, dass sie vor unüberwindlichen Hindernissen standen. Einhard berichtete auch, dass der Sand, den die Arbeiter tagsüber ausgehoben hatten, über Nacht wieder nachrieselte. Diese Erfahrung machten auch die Archäologen heute. Oder bekam Karl die aufwendige Logistik zwei Jahre hintereinander nicht hin? Immerhin mussten außerordentlich viele Männer verpflegt werden - und das aus einem überschaubaren Gebiet heraus. Möglicherweise sind Ereignisse eingetreten, die Karls Prioritätenliste verschob. Der Bau des Karlsgrabens fiel zwischen zwei Feldzüge gegen die Awaren. Karl selbst weilte 791/92 in Regensburg, 793 zumindest zeitweilig an der Kanalbaustelle und danach wieder in Regensburg. Die Awaren wurden endgültig 796 besiegt.

Womit das Thema auf die Arbeiterschaft kommt. Waren es kriegsgefangene Awaren oder Sachsen, kamen sie aus umliegenden Dörfern oder waren es Soldaten, die gerade nicht Krieg führten, aber beschäftigt werden wollten? Bisher gibt es keinen Hinweis auf die Bautrupps, wo sie herkamen, wie sie untergebracht waren.

Noch zwei Jahre läuft das Forschungsprojekt. Die Zeit wird für die Auswertung gebraucht. Größere Grabungen sind nicht mehr geplant. Werther ließ durchblicken, dass er wohl gerne über 2018 hinaus weitermachen würde, aber das sei eine Frage der Finanzierung.