Georgensgmünd (DK
Todesschütze bot Kurse zur Gewaltprävention an

49-Jähriger aus Georgensgmünd trat als Leiter einer Schule für Kampfsport und Bewusstseinsbildung auf

20.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:09 Uhr

Ratlosigkeit nach den Schüssen auf den inzwischen verstorbenen 32-Jährigen des Sondereinsatzkommandos: Polizisten und Ermittler stehen vor dem Haus des 49-Jährigen, der mit der Waffe im Anschlag auf die Beamten gewartet hat. Vor dem Haus, das der Mann als eigenes Staatsterritorium ansieht, weht eine Fahne mit einem historisch anmutenden "Staats"-Wappen mit Schild und Helm. - Foto: Richter

Georgensgmünd (DK) "Wir haben etwas gegen Gewalt!" Nach diesem Motto arbeitet die "WingTsun-Schule für Bewegung - Bewusstheit - Behauptung" in Georgensgmünd. Trainingsort ist Roth. Doch genau deren Leiter hat nun massive Gewalt ausgeübt: Wolfgang P. ist jener Mann, der in Georgensgmünd einen Polizisten erschossen hat.

 

"Ich habe heute früh vom Tod des Beamten erfahren - es ist einfach tragisch", sagte gestern der Georgensgmünder Bürgermeister Ben Schwarz (SPD). "Ich bewundere, dass die Beamten unter Einsatz für Leib und Leben für den Rechtsstaat eintreten und hier ihren Kopf hinhalten, betonte er. Dass der 49-jährige Täter bei dem Zugriff nur leicht verletzt worden ist, zeuge von dem "überlegten und professionellen Handeln, vor dem ich Hochachtung habe".

Laut Georgensgmünder Bürgern soll Wolfgang P. "auf großem Fuß" gelebt und sich gern als Unternehmensberater bezeichnet haben. Für die WingTsun-Schule hat er im Jahr 2012 eine GmbH mit Sitz in Georgensgmünd gegründet, das Gewerbe dem Bürgermeister zufolge aber bald wieder abgemeldet haben.

Welche Auswirkungen die Verhaftung P.s auf die Zukunft dieser inoffiziell weiter betriebenen "Bewusstseins-Bildungseinrichtung" hat, war nicht zu erfahren: Unter der Festnetznummer meldete sich nur der Anrufbeantworter, das Mobiltelefon ist "zurzeit nicht erreichbar". Seit gestern ist auch die Webseite der WingTsun-Schule Georgensgmünd nicht mehr im Internet zu finden. Noch im September soll unter P.s Organisation ein hochkarätiger Kampfsporttrainer dort einen Workshop gegeben haben. Roland N., Leiter der "offiziellen WingTsun-Schule Roth", bestätigt auf Anfrage, Wolfgang P. habe sich mit ihm die Trainingsräume nach Wochentagen geteilt.

Beim Dachverband EWTO, der Europäischen WingTsun- Organisation, musste man sich nach der Anfrage "erst einmal fassen": Die Information, dass einer ihrer Schulleiter um sich geschossen hat, war dort am Mittwoch noch nicht bekannt gewesen. Eine weitere versprochene Stellungnahme steht bislang aus. Auf der Webseite des Verbands steht jetzt, in Georgensgmünd gebe es keine EWTO- Kampfsportschule.

Wolfgang P. gehörte zur sogenannten "Reichsbürger"-Bewegung. Diese erkennt die Bundesrepublik nicht als Staat an. Ihrer Anschauung nach besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fort. Oft kommen sie mit Behörden in Konflikt, weil sie sich weigern, Steuern zu zahlen. Das war auch bei P. der Fall. Aus dessen Umfeld ist zu hören, er habe einen teuren Sportwagen gefahren. Wegen der nicht bezahlten Kfz-Steuer geriet er ins Blickfeld des Zolls und schließlich in das des Rother Landratsamtes.

In Georgensgmünd fiel Wolfgang P. laut Bürgermeister Schwarz nur dadurch auf, dass er im Januar dieses Jahres beim Einwohnermeldeamt seinen Pass abgab und seine Staatsbürgerschaft niederlegen wollte. "Er ist dazu mit zwei Zeugen hier aufgetaucht und hat den Ausweis auch bei uns gelassen", sagt Schwarz. Man habe ihm später jedoch schriftlich mitgeteilt, dass er den Ausweis zwar abgeben, seine Staatsbürgerschaft aber nicht niederlegen könne.

Die ursprünglich angemeldete Kampfsportschule hat der gelernte Büromaschinenmechaniker schon vor rund zwei Jahren abgemeldet. "Aber ich weiß natürlich nicht, ob die Räume noch genutzt wurden", so Schwarz. Ein Gewerbe, das sich um Bausparen und Finanzierung kümmere, habe Wolfgang P. aber noch weiter betrieben.

Der Mann sei kein völliger Einzelgänger gewesen, sondern habe wohl ein "normales soziales Umfeld" gehabt, sagt der Bürgermeister. In seinem Haus soll er eine Untermieterin gehabt haben, wie Nachbarn berichteten. Bei der Gemeinde gemeldet war die Frau nicht.

Im sozialen Netzwerk Facebook hat der Mann 320 Freunde - darunter ist er auch ein Mann, der bei der vom Landesamt für Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Gruppe Pegida Nürnberg regelmäßig als Redner und Organisator auftritt. Nach Ansicht der Nürnberger Rechtsextremismus-Expertin Birgit Mair zeigte Wolfgang P. im Internet eine rechte und antisemitische Gesinnung. Auch "Verschwörungstheorien über Juden" und flüchtlingskritische Artikel seien dort zu finden. Zudem hatte er eine Fotomontage weiterverbreitet, auf der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), weitere Mitglieder der Bundesregierung sowie Bundespräsident Joachim Gauck auf einer Anklagebank sitzen. Darüber steht: "Schuldig - hängen!"

Der 49-Jährige selbst veröffentlichte bei Facebook ein Schreiben, das er von mehreren Zeugen unterschreiben ließ. Darin erklärt er, "tatsächlich auf diesem Planeten, genannt Erde, körperlich seelisch und geistig voll anwesend" zu sein. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass Vertreter dieser Ideologie die Ansicht vertreten, "laut altem Recht" sei man "auf See verschollen" und gelte als tot, "wenn man sich nicht alle sieben Jahre lebend zurückmeldet".