Essing
Laut schlagende Herzen in felsiger Tiefe

Abenteuerlustige DK-Leser wagen sich in die Tropfsteinhöhle Silberloch im Altmühltal

27.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:22 Uhr

Foto: DK

Essing (DK) Es ist dunkler, als es die mondloseste Nacht je sein könnte. Gespenstisch leise umfängt sie die Finsternis. Die 18 Menschen scheinen die Luft anzuhalten, fast 40 Meter massiver Fels liegen über ihnen. Sie können den Berg um sich herum fühlen, die Stille ist vollkommen. In der Tiefe einer Spalte flackert ein Licht auf.

Durch ein Loch im Fels kriechen 18 Leser unserer Zeitung und drei Expeditionsleiter hinein in das Höhlenabenteuer: Ein Samstag in den Tiefen des Berges, im Silberloch in Essing bei Kelheim. Der erste Termin für das DK-Leserabenteuer war nach 20 Minuten ausgebucht, zwei weitere wurden angesetzt – ebenfalls voll. Der Nervenkitzel reizt viele. Kletterexperte Sebastian Zäch mit seiner Firma Simply Outdoor ist zufrieden.

Alle tragen schlammfarbene Ganzkörperanzüge, Helme und Stirnlampen. Mikal (12) kriecht voran auf den Knien in den Schlund. Sie und ihr Vater Marco Hafemann kommen aus Ingolstadt, es ist ihre erste Höhlentour. Noch fällt Tageslicht durch den Spalt, die erste von drei Sechsergruppen startet – erwartungsvoll, mit lockeren Sprüchen die Beklemmung überspielend, die wohl jeder spürt, der sich in den Berg wagt.

 

Silberfarben funkelt es zwischen den Felsen, wenn die Lichter der Stirnlampen darüber streifen. „Das ist kein Silber, sondern Kalk, aber davon hat die Höhle ihren Namen“, erklärt Sebastian Zäch. Andere Besuchergruppen haben ihre Spuren hinterlassen: Kanten frisch abgebrochener Tropfsteine reflektieren das Licht strahlend weiß. Ansonsten überzieht eine schmierige Lehmschicht Wände, Boden, Decke, zeichnet die Konturen des Felsens weich. Im flackernden Licht schimmert die Höhle in warmem Goldbraun. „Als würde überall Honig herunterlaufen“, sagt Mikal.

Sie krabbelt voraus durch einen schmalen Gang, die anderen folgen nacheinander. „Es geht nicht weiter“, stellt Mikal nach einem Blick rundum fest. Sebastian Zäch nickt. Sackgasse. „Es war keine Schikane – es gibt Leute, die Platzangst haben und es noch nicht wissen“, erklärt er den Umweg. Wem das kurze Stück etwas ausgemacht habe, der könne jetzt noch umkehren. Später gibt es keinen schnellen Ausstieg mehr. Alle gehen weiter.

Es riecht nach Feuchtigkeit und Lehm. Wasser perlt von den Zapfen an der Decke, sammelt sich in Pfützen. „Mein Schuh!“ Mikal sinkt zentimetertief ein. Vorsichtig dreht sie den Fuß, bis er sich mit einem schmatzenden Geräusch wieder löst. Zäch zwinkert ihr zu. „Beim ersten Schritt zieht es dir den Turnschuh aus, beim nächsten den Socken.“ Sie lacht. Das würde sie lieber vermeiden.

Der Weg führt über eine Felswand hinauf. Mikal wird als Kleinste zur „Freiwilligen“ auserkoren. Seil und Karabiner in der Hand steigt sie vor, unter ihr steht die Gruppe, bereit sie aufzufangen, sollte sie in der schmierigen Schicht den Halt verlieren. Über Zächs Schulter und einen Zwischenschritt an der Wand erreicht sie das Plateau. Zwei Meter über den Köpfen aller anderen dreht sie den Karabiner fest, und zeigt den Daumen nach oben. Von ihren Händen bröckelt rissig der Lehm. „Spaghettihöhle“ nennt Zäch die Grotte, von der Decke hängen tausende kleiner Tropfsteine, viele sind abgebrochen.

Der Boden steigt bergan, die Wände kommen näher, je weiter die Gruppe geht, dann krabbelt. Schließlich liegen alle bäuchlings auf dem Boden und robben nacheinander durch einen Gang, so hoch wie ein Bierkasten, gefühlt niedriger. Mit den Unterarmen ziehen sie sich voran, den Kopf gesenkt, um nicht gegen die Felsen zu stoßen. Um sie herum: nichts als Stein. Bis auf das schlurfende Geräusch von Vorder- und Hintermann ist alles still, jeder ist beschäftigt mit sich und dem Tunnel, der immer noch enger zu werden scheint, bis er die Gruppe nach acht bis zehn Metern in eine neue Höhle entlässt. „Geschafft! Ich weiß, warum ich keinen Bierbauch brauche“, sagt jemand. Doch: Die engste Stelle liegt noch vor ihnen. Der sogenannte Geburtskanal.

Während Zäch über die Felsen nach oben klettert, muss die sechsköpfige Gruppe durch einen Schacht hinaufsteigen. „Das ist ungefährlicher“, erklärt Zäch die Strapaze. „Er nimmt den Weg Kaiserschnitt“, sagt ein Mann, bevor er in den Geburtskanal eintaucht. Es geht senkrecht nach oben, die Wände sind glitschig, bieten wenig Halt – doch die eigentliche Herausforderung ist das Ende. Wer falsch herum das Loch über sich erreicht, passt nicht hindurch und muss ein Stück zurück und sich im Schacht umdrehen, bevor er auftauchen kann. Acht Grad hat es konstant in der Höhle, sommers wie winters. Trotzdem schwitzen alle, spätestens nach diesem Stück.

Mikal turnt über die Stalagmiten, während sich ihr Vater noch durch das Loch im Boden presst. „Hat jemand Durst“, fragt Zäch mit Blick in erschöpfte, aber zufriedene Gesichter. „Wenn du ein kaltes Pils hast“ Die Lichter schwenken unstetig über die hohen Wände, der Anblick der sogenannten Kerzenhalle ist atemberaubend. Hier treffen die drei Sechsergruppen wieder zusammen, einige Abenteuerlustige klettern ein Stück weiter hinein in den Berg, bis zu einem Abgrund, der 40 Meter in die Tiefe führt. Auf dem Grund hätten Wissenschaftler im Jahr 1916 Tieropfer und Keramik sowie Menschenknochen aus der Bronzezeit gefunden, erzählt Zäch. Und mahnt: „Das Einzige, was wir mitnehmen, sind die Eindrücke.“ Zu viele Tropfsteine seien zerstört worden, abgesägt als Garten-Deko oder Aschenbecher.

„Schaltet mal alle eure Lichter aus.“ Nach und nach erlöschen die Stirnlampen und es wird stockfinster. Kein Schemen ist mehr zu erahnen, kein Atemgeräusch zu hören, nur das Pochen des eigenen Herzens, dort, mitten im Fels. In der Tiefe des Tunnels glimmt ein Licht auf, durchbricht die gespenstische Atmosphäre. Die erste Gruppe kehrt vom Abgrund zurück in die Kerzenhalle.

Ein Drittel der Energie sei für den Hinweg, ein Drittel für den Rückweg – und das letzte Drittel für Notfälle, erklärt Zäch. Zwischenfallsfrei bewältigt die Gruppe auch den Rückweg – einschließlich Abseilen über eine Felswand. Das Tageslicht, das durch die Höhlenöffnung fällt, erscheint nach drei Stunden in der Schwärze des Berges fast unwirklich hell. Wie spät es ist, kann keiner sagen. Mikal schält sich aus dem lehmverschmierten Anzug. Aus der homogen braunen Gruppe werden wieder bunte, begeisterte Individuen – die noch lange von diesem Abenteuer erzählen werden.