Starnberg
"Er hat fürchterliche Sachen gesagt"

05.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr

Yves Buchheim hat die schmerzhaften Erinnerungen an seinen Vater Lothar-Günther Buchheim aufgeschrieben. - Foto: Pfohl

Starnberg (DK) Als Mensch rücksichtslos, als Kunstsammler ohne Skrupel - so beschreibt Yves Buchheim seinen Vater, den Maler und Bestsellerautor Lothar-Günther Buchheim. Heute vor 100 Jahren wurde der vielseitig Talentierte geboren. Das Buch "Das Leben meines Vaters: Künstler, Sammler, Despot", das Sohn Yves schrieb, liest sich wie ein Thriller.

Maler, Verleger, Fotograf, Autor, Sammler, Museumsgründer und noch viel mehr war Lothar-Günther Buchheim. Vor 100 Jahren, am 6. Februar 1918, wurde der vielseitig talentierte Dickschädel in Weimar geboren. Die Feierlichkeiten am Starnberger See sind jetzt allerdings etwas getrübt. Denn Sohn Yves (68) aus Buchheims erster Ehe mit der französischen Galeristin Gwen Militon hat ein Buch geschrieben, in dem Unangenehmes zur Sprache kommt. Von den Kunstankäufen des Vaters bis zu dessen Unlust, Steuern zu zahlen, von Geiz und bösen Worten.

 

Herr Buchheim, der Vater scheint Ihnen immer noch im Nacken zu sitzen.

Yves Buchheim: Nein, ich habe mich schon lange von ihm befreit. Das Buch ist auch keine Abrechnung. Ich versuche nur, meinen Vater ins richtige Licht zu rücken. Er war ein Wunderkind und hatte irrsinnig viele Begabungen. Er war ja nicht nur ein guter Schriftsteller, sondern auch ein guter Maler, er hatte ein untrügliches Auge, und damit konnte er eine der tollsten Sammlungen zum deutschen Expressionismus aufbauen.

 

Man schluckt trotzdem beim Lesen, wenn er Sie einen Bastard nennt.

Buchheim: Und nicht nur das, ich war auch das Kuckucksei, das ihm ins Nest gelegt wurde. Er hat fürchterliche Sachen gesagt und war einfach auch ein bisschen durchgeknallt. Seine Mutter Charlotte Buchheim ist in der Psychiatrie gelandet. Und er selbst hat sich ein Leben lang auf diesem äußerst schmalen Grat zwischen höchster Intelligenz und totaler Verrücktheit bewegt.
 

Sie werfen Ihrem Vater vor, sein Leben aus Legenden aufgebaut zu haben.

Buchheim: Die Legenden sind nach dem Krieg entstanden - wie bei so vielen. Mein Vater war als Kriegsberichterstatter für Joseph Goebbels' Propagandaministerium im Einsatz und nach 1945 plötzlich der große Nazi-Gegner. Er hat sich dann regelrecht in einen Hass gegen die alten Kameraden hineingesteigert. Doch wenn man sieht, wie er bei Karl Dönitz, dem "Führer der U-Boote" stramm steht oder in schicker Uniform und mit Offiziersdolch auf der Promenade von La Baule (Bretagne) wandelt, dann vermittelt das ein völlig anderes Bild.

 

Sie lästern darüber, dass Buchheim seine einzige U-Boot-Fahrt auf über 600 Seiten aufgeblasen hat.

Buchheim: Das ist doch eine einmalige schriftstellerische Leistung! U-Boot-Kommandant Heinrich Lehmann-Willenbrock, der das Vorbild für den "Alten" im Buch "Das Boot" war, hatte unzählige Fahrten hinter sich gebracht und sicher viel tollere Geschichten erlebt. Aber er konnte das nicht zu Papier bringen, das war der Unterschied.

 

Hat Ihr Vater mit Ihnen über die Vergangenheit gesprochen?

Buchheim: Leider nein. Auch in der Schule kamen der Erste und Zweite Weltkrieg schlicht nicht vor. Meine Lehrer waren alles alte Soldaten und Feldafing damals noch ziemlich braun. In den schönen jüdischen Villen hatten sich ja überall die Nazis etabliert.

 

Sie sind im Alter von fünf Jahren von Paris an den Starnberger See gekommen. Wie haben Sie das erlebt?

Buchheim: Das war schlimm. Ich sprach ja kein Wort Deutsch, nur "Guten Tag" hatte man mir im Zug beigebracht. Und Feldafing war ein bigottes Kaff. Wir haben draußen am Wald gewohnt, da waren weit und breit keine Spielkameraden. Zuvor, in Paris, wurde ich von der französischen Großmutter dauernd umsorgt, die Eltern waren ja unterwegs. Und dann saß ich ganz allein in diesem Feldafing. Wenn ich übrigens in der Schule ein Wort auf Französisch gesagt habe, musste ich eine Stunde in der Ecke stehen.

 

Und dann das schreckliche Essen.

Buchheim: Jeden Tag Kartoffeln! Aber das war der pure Geiz. Bis zum Lebensende - und das mit so viel Geld, das mein Vater auf die Seite gebracht hat. Wenn er mit seiner Frau Diethild ins Gasthaus ging, haben sie sich ein Bier geteilt. Und was vom Schweinsbraten übrig blieb, wurde eingepackt fürs nächste Mittagessen. Für ihn war es überhaupt das größte Abenteuer, auf den Sperrmüll zu gehen. Egal ob ein Bilderrahmen oder ein Brett, alles wurde nach Hause geschleppt. Bloß kein Geld ausgeben, nicht einmal beim Ikea. Wenn früher Kisten ankamen, musste ich nach dem Öffnen die Nägel gerade klopfen, damit man sie wieder verwenden konnte. Wie Dagobert Duck hat Buchheim alles gehortet.

 

Auch das, was eigentlich an den Staat gehen sollte?

Buchheim: Mein Vater hat nie wie die anderen Steuern bezahlt. Und jetzt steckt dieses Geld in einer Stiftung, die über das Buchheim Museum wiederum vom bayerischen Staat bezuschusst wird. Alle wussten ja, dass Gelder da sind, trotzdem wurden immer neue Zuschüsse fürs Museum angefordert, um den Verlust auszugleichen. Ein Museum kann sich doch nicht alleine tragen, oder?

 

Immerhin hat Ihre Stiefmutter Diethild Selbstanzeige erstattet und 23 Millionen Euro nachversteuert.

Buchheim: Aber nicht aus eigenen Stücken. Nach dem Tod meines Vaters hat ihr ein Steuerberater geraten, das Geld aus der Schweiz zurückzuholen. Damit hat man dann ganz lässig ein bisschen Steuer bezahlt.

 

Sie erwähnen auch Nachdrucke, die nicht so ganz korrekt sind.

Buchheim: Buchheim hatte ja ein paar echte Druckstöcke, etwa von Otto Mueller. Und ich sah ihn zweimal, wie er damit Drucke angefertigt hat. Das war also eine schöne Gelddruckmaschine. Die Blätter sind dann mit "OM" für Otto Müller signiert worden. Oder mit HC für Hors de Commerce (nicht für den Handel). Wer sie letztendlich gekauft hat, weiß ich aber nicht.

 

Buchheim selbst wollte Kunst möglichst billig haben.

Buchheim: Seine Einkäufe in der DDR waren ein Coup. Er hatte gute Kontakte zu Tante Hilde und Vetter Kurt, die jeden Monat mit einem großen Care-Paket bei Laune gehalten wurden. Und über die beiden kam er dann mehr als günstig an Bilder.

 

Wie lief das ab?

Buchheim: Über Annoncen. Die Menschen in der DDR waren himmelfroh, wenn sie an Devisen kamen. Für minimale Beträge gaben sie wertvolle Bilder.

 

Das hat niemanden interessiert?

Buchheim: Aber nein, die Bilder standen bei uns zu Hause und wurde nach und nach in die Sammlung integriert. Das Verrückte ist ja, dass bis heute niemand von der Buchheim Stiftung diese Zusammenhänge wirklich kennt.

 

Im Buchheim Museum wird inzwischen Provenienzforschung betrieben.

Buchheim: Und man darf sich gerne bei mir im Buch informieren. Ich gebe ja einige Beispiele an, und natürlich kenne ich viele weitere Quellen. Aber ich wurde nie gefragt, das ist doch seltsam, oder? Mein Vater hat später immer verhindert, dass die Sammlung wieder auf Reisen geht - aus konservatorischen Gründen. Vielleicht aber hätten Erben aufmerksam werden und Ansprüche stellen können.

 

Am diesem Dienstag wird Ihr Vater in Bernried gefeiert. Wurden Sie eingeladen?

Buchheim: Natürlich nicht. Ich könnte ja die Feier stören. Wer viel weiß und viel erzählen kann, ist nicht gerne gesehen. Und im Buch habe ich mich ja noch zurückgehalten.

 

Die Fragen stellte Christa Sigg.
 

Zur Person Yves Buchheim

Yves Buchheim, geboren 1949, ist eines von zwei Kindern Lothar-Günther Buchheims. Zu seiner Halbschwester, die in München lebt, hat er keinen Kontakt. Die ersten Lebensjahre verbrachte er in Paris bei seiner Mutter, 1954 siedelte er zu seinem Vater nach Feldafing über. Yves Buchheim lebt in der Schweiz, wo er eine Werbe- und Kommunikationsagentur betreibt. Das Buch "Buchheim. Künstler, Sammler, Despot - das Leben meines Vaters" hat er mit Franz Kotteder geschrieben. Es ist bei Heyne erschienen und kostet 24 Euro.

Lothar-Günther Buchheim

Der Mann mit der Augenklappe war ein harter Knochen. Seine Beleidigungen sind so legendär wie sein Bucherfolg „Das Boot“ (1973). Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) wurde trotzdem von allen umschmeichelt, von den „Politkulturschranzen“ bis zu den „Sesselfurzern“, in welchen Ämtern auch immer. Denn seine millionenschwere Kunstsammlung wollte man sich in Bayern nicht entgehen lassen. Und so bekam der Poltergeist vom Starnberger See dann auch 2001 sein „Museum der Phantasie“ – in Bernried. Denn die Feldafinger „Schilfgürtel-Gullyratten“ hatten nicht gezogen. Übrigens genauso wenig wie München, Duisburg, Buchheims Geburtsstadt Weimar, Chemnitz und einige andere zuvor. Es gab halt immer Streit mit dem alten Haudegen.

In Bayern ist die Museumsgründung seinerzeit auf beträchtliche Kritik gestoßen, zumal der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber die Angelegenheit ohne großes Vertun zur Chefsache erklärt hatte. 37 Millionen Mark verschlang der wie ein Schiff anmutende Baukörper des Architekten Günter Behnisch, weitgehend finanziert vom Freistaat. Vor allem in der Kulturszene mokierte man sich darüber, dass Buchheim neben seinen exquisiten Expressionisten wie den Brücke-Malern Kirchner, Heckel oder Schmidt-Rottluff gleich noch sein schrullig kurioses Kirmes- und Flohmarkt-Sammelsurium ausgebreitet hatte. Darunter Karussellpferde, Briefbeschwerer und Heugabeln.

Trägerin des Museums ist eine von Buchheim 1996 gegründete gemeinnützige Stiftung, die seinen Namen trägt. Bis er 2007 mit 89 Jahren starb, war er selbst Direktor, danach sorgte Witwe Diethild dafür, dass der Kahn auf dem alten, durchaus fragwürdigen Kurs blieb: Es durfte partout nichts ausgeliehen werden, und es kam auch nichts Fremdes ins Haus. Das ist lange her, das Museum in Bernried blüht seit ein paar Jahren mächtig auf, nicht zuletzt, weil der neue Direktor Daniel J. Schreiber nicht unter der Fuchtel Buchheims steht und das Haus öffnen konnte – für andere Sammlungen wie etwa die des Würzburger Brücke-Kenners Hermann Gerlinger und interessante Kooperationen.

Das aktuelle Ausstellungsjahr steht allerdings wieder ganz im Zeichen des 1918 geborenen Gründers: Typisches aus der abgerissenen Feldafinger Buchheim-Villa ist jetzt im Museum aufgebaut, und damit kann man sich im rekonstruierten Wohn- und Arbeitsambiente des cholerischen Verlegers und Kunsthändlers bewegen. Das heißt zwischen Porzellan-Buddhas und ausgebeulten Cordhosen, wackligen Spaghettistühlen und einem Campingtisch, an dem Buchheim auch Politiker wie Gerhard Schröder empfing. Doch wenn den ewigen Nörgler die Verschwendungssucht überkam, ließ er sich in seinem Rolls Royce zu Aldi chauffieren. cis