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Meterweise Rechnungen, die keiner zahlt

09.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:12 Uhr

Foto: - -Kein Honorar

Er hat Aichach gerettet und dafür bezahlt. Gleich in zweifacher Hinsicht. Denn es ist den 3000 Gulden, die der Bierbrauer und spätere Bürgermeister Lorenz Aloys Gerhauser dem General Saint-Cyr aus seinem Privatvermögen bezahlte, zu verdanken, dass Aichach im September 1796 nicht von französischen Truppen geplündert wurde.

Die Stadt und ihre Bürger litten damals schwer unter den Koalitionskriegen. Im Sommer 1796 mussten zunächst fast 2000 österreichische Truppen samt Tross verpflegt und einquartiert werden, nur wenige Tage nach Abzug der Österreicher am 24. August besetzte das Hauptheer des französischen Generals Saint-Cyr Aichach und die umliegenden Orte.

Die Franzosen forderten die Herausgabe sämtlicher Vorräte und quartierten sich in der Stadt ein, Saint-Cyr im Haus von Gerhauser. Wenige Wochen später sollte wichtig werden, dass sich beide kannten – und wohl auch gut verstanden. Immerhin war es selbstverständlich, dass der General das Baby der Familie auf seinem Arm umhertrug, und Gerhauser vermerkt, dass der General sich gegenüber seiner Frau ausgesprochen freundlich verhalten habe.

Mitte September zogen die französischen Truppen ab, aber nur, um wenige Tage später wieder vor Aichach zu stehen – mit 30 000 Mann. „Dieser Tag war noch unter allen schrecklichen der schrecklichste“, schreibt Gerhauser in seinen Aufzeichnungen. Denn die Forderungen und Kontributionen waren nicht nur noch mal umfangreicher, den Soldaten war die Stadt auch zur Plünderung freigegeben worden. Nur ihren guten Beziehungen sei es zu verdanken, habe Saint-Cyr damals Gerhauser gesagt, dass gegen eine Zahlung von 5000 Gulden die Erlaubnis zurückgenommen werden könne. Dem Aichacher gelang es, die Summe auf 3000 Gulden zu drücken, die bezahlte er dann schließlich aus seinem Vermögen – und tatsächlich blieb Aichach verschont.

Der Bierbrauer und Bürgermeister hat über die Zeit der napoleonischen Kriege in Aichach von 1791 bis 1809 Aufzeichnungen geführt, und ihm verdankt Aichach eines seiner wichtigsten historischen Dokumente überhaupt: mehr als 1700 sogenannte Einquartierungszettel, in denen die Unterbringung und Versorgung der fremden Soldaten dokumentiert ist. Im Aichacher Stadtmuseum sind die Zettel, zu einer 15 mal einen Meter langen Bahn zusammengeheftet, das spektakulärste Ausstellungsstück, in der Landesausstellung ist eine Kopie zu sehen.

Die schieren Zahlen sind fast unglaublich und zeigen, was die Zivilbevölkerung in der Zeit leistete und was sie zu erdulden hatte. Alleine Gerhauser versorgte in sechs Jahren 1700 Offiziere, 11 800 Soldaten und 11 200 Pferde. Kein Wunder also, dass er sich von den Folgen des Krieges nicht mehr erholte.

Die Zahlung an den General, um die Plünderung zu vermeiden, und die Kosten für die Einquartierung der Soldaten hatte seine finanziellen Mittel völlig erschöpft. Im Jahr 1816, ein Jahr nach Napoleons Niederlage bei Waterloo, musste Lorenz Aloys Gerhauser sein Brauereianwesen verkaufen. Sämtliche Kosten waren ihm nämlich nur zu einem kleinen Teil vom Staat zurückerstattet worden.

Die 3000 Gulden etwa, mit denen er Aichach rettete, forderte er von der Stadt vergeblich zurück. Gerhauser hatte die Summe gezahlt, ohne eine Quittung erhalten zu haben, und der einzige Zeuge der Verhandlungen mit Saint-Cyr und der Geldübergabe war seine Frau. Bis zu seinem Tod im Jahr 1837 arbeitete er als Schreiber des königlichen Rentenamtes und als Aichacher Stadtschreiber.

Gerhauser kannte im Übrigen Napoleon sogar persönlich. Zusammen mit drei Bauern aus Oberwittelsbach nahm er an der Trauung von Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais mit der Tochter des bayerischen Königs, Auguste Amalie, teil. Als Vertreter des bayerischen Volkes aus der Gegend des Stammsitzes der Wittelsbacher, durfte Gerhauser bei den Feierlichkeiten in München dabei sein (siehe das Ausstellungsstück). Dafür wurden er und seine Begleiter in ein „altbaierisches Costüm gekleidet“, wie eine Quelle erzählt.

Heute erinnert nicht nur eine Straße in Aichach an Gerhauser, seine Aufzeichnungen und gesammelten Dokumente geben Museumsbesuchern auch eine Vorstellung davon, wie die Aichacher eine der schwierigsten Zeiten ihrer Geschichte erlebte.

Nächsten Mittwoch steht das Schicksal eines bayerischen Soldaten im Mittelpunkt.