Eichstätt
Zuflucht unterm Kirchendach

Pfarreien und Klöster im Bistum Eichstätt gewähren 13 Verfolgten Asyl

24.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

Das Bistum Eichstätt gibt einer tschetschenischen Familie, die aus Angst vor Verfolgung unerkannt bleiben möchte (rechts), Kirchenasyl im Jugendhaus Schloss Pfünz. Sie werden von Franz Geitner, Andreas Prommesberger und Illya Tiraspolski (von links) unterstützt - Foto: Chloupek

Eichstätt (DK) Die Zahl der Kirchenasyle in Bayern steigt rapide an. Waren es 2012 nur sechs, kletterte die Zahl im vergangenen Jahr auf 23, heuer sind es bereits 40. Derzeit leben je eine Familie im Kloster Plankstetten und im Schloss Pfünz und je zwei Männer im Kloster Dietfurt und im Pfarrhaus Paulushofen.

Diese gute Tat will das Bistum Eichstätt nicht an die große Glocke hängen. Das Thema sei heikel, räumt der Pastoralreferent der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), Franz Geitner, ein. Doch Fakt ist: Seit dieser Woche gewährt die Diözese erstmals selbst Kirchenasyl. Die Familie aus Tschetschenien soll, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihren Eilantrag abgelehnt hat, bis 17. Mai nach Polen abgeschoben werden und ist nun seit Dienstag im diözesanen Jugendhaus Schloss Pfünz untergebracht. „Wenn wir als Kirche nicht helfen, wer soll denn dann helfen“, fragt der Leiter des Jugendhauses, Andreas Prommersberger. Dass die Familie moslemisch ist, spielt keine Rolle.

Der 34-jährige Vater, seine 29-jährige Frau und die drei Kinder im Vor- und Grundschulalter waren im vorigen Frühsommer über Polen nach Deutschland und hier nach Eichstätt gelangt. Der Vater sei sich nach Folter und Verfolgung in Tschetschenien seines Lebens nicht mehr sicher gewesen, übersetzt der ehrenamtliche Helfer Illya Tiraspolski die Fluchtgeschichte aus dem Russischen. Der Student hatte der Familie das Einleben in Eichstätt erleichtert und am Gründonnerstag sofort nach dem Erhalt des Ablehnungsbescheids mit dem KHG-Pastoralreferenten Franz Geitner das Kirchenasyl im Nachbarort Pfünz initiiert.

Denn, dass der Fluchtweg über Polen führte, droht der Familie zum Verhängnis zu werden: Gemäß dem in der Europäischen Union seit 2003 geltenden „Dublin-II“-Abkommen läuft das Asylverfahren in der Regel in dem EU-Land, das Flüchtlinge als Erstes erreicht haben, die Flüchtlinge müssen zu gesetzten Fristen in dieses Land „überführt“ werden. Der bayerische Flüchtlingsrat lehnt diese Praxis strikt ab. Vorigen Oktober hatte es drei „Dublin-II-Fälle“ im Landkreis Eichstätt gegeben, aktuell müssten es zwei bis drei Dutzend sein, schätzt Maria Seitz, Sachbearbeiterin im Landratsamt.

Wie es nun mit der Familie weitergeht? Geitner zuckt die Schultern. Er hofft, dass sie nicht abgeholt wird, sondern am 19. Mai noch im Lande ist. Dann wäre wohl die Frist zur „Überführung“ nach Polen abgelaufen, sie könnte hier ihren Asylantrag stellen und wieder in die reguläre Unterkunft in Eichstätt zurückkehren. Bis dahin wird sie im diözesanen Jugendhaus jede mögliche Unterstützung bekommen.

Auch bei den Benediktinern im Kloster Plankstetten war es keine Überlegung, ob man die armenische Familie mit zwei kleinen Kindern aufnehme, erklärt Frater Andreas Schmidt. Vielmehr habe die Frage „geht es von den Räumen her oder nicht“ gelautet. Der kleine Sohn der Familie bescherte dem Kloster zudem die erste Taufe nach orientalisch-orthodoxer Art in der byzantinischen Krypta, berichtete Frater Andreas erfreut. „Alle Mitarbeiter haben die Familie ins Herz geschlossen.“ Das Kloster habe sich beim Landratsamt Neumarkt schon vor Längerem als eine mögliche Anlaufstelle „für Akutfälle“ gemeldet. „Wir tun, was wir können, und sind natürlich auch ein Stück weit stolz darauf“, sagt Frater Andreas, der sich vom Schicksal der Familie auch persönlich berührt zeigt.

Die Anfrage zur Unterbringung der Familie kam über einen Mitarbeiter im evangelischen Dekanat Neumarkt. Beteiligt war der Nürnberger Pfarrer Kuno Hauck, der als Kirchenasylexperte gilt und unter anderem kürzlich zur Anhörung im Bayerischen Landtag zum Thema Asyl geladen war. Hauck erinnerte sich an die Anfrage, die er mit seiner Erfahrung – auch er gewährt in seiner Kirche Asyl – und praktischen Ratschlägen begleiten konnte. „Wir haben in Nürnberg selbst so viele Flüchtlinge, dass wir vom Land niemanden aufnehmen können“, erklärte Hauck, der auch dem Neumarkter empfehlen musste, sich selbst um ein Quartier zu kümmern. Die Aussichten, nach dem Kirchenasyl eine dauerhafte Bleibe in Deutschland zu finden, bezifferte er auf rund 75 Prozent. Zu seiner persönlichen Motivation meinte der evangelische Pfarrer, der sich seit über 30 Jahren für die Menschenrechtsbewegung einsetzt: „Der kirchliche Auftrag, den Schwachen zu helfen, und die Flüchtlingspolitik, die einen eklatanten Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt, gehen Hand in Hand.“

Bruder Dieter Müller, der beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst für Süddeutschland zuständig ist, weiß, dass die Zahl von 40 Fällen im bundesweiten Vergleich sehr hoch sei, was der Jesuit auf die vorherrschende katholische und christliche Grundausrichtung zurückführt. Die herrschenden Verfahren glichen „einem Lotteriespiel“. Damit sollte man sich nicht abfinden, appellierte er.

In Paulushofen weiß man das schon lange. Pater Martin Berger hat bereits viele Flüchtlinge kommen und gehen sehen. Derzeit haben zwei Asylbewerber im Pfarrhaus Unterschlupf gefunden. Für Pater Raphael vom Franziskanerkloster in Dietfurt und seine Mitbrüder ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie helfen, wohl wissend, dass Kirchenasyl ein „sensibles Thema“ ist. Aber nicht für sie sei die Situation schwierig, sagt der Pater: „Die Menschen sind in Not, für sie ist das Leben schwierig.“ Die Patres und Ehrenamtliche setzen sich für die zwei Äthiopier ein. Täglich bekommen sie Deutschunterricht, sie helfen im Klostergarten, nehmen hin und wieder am klösterlichen Leben teil.

Bei der Ausländerbehörde des Landratsamts Neumarkt gibt man sich bei mancher Frage zögerlich, etwa, wenn es um Duldung des Kirchenasyls geht. „Das ist eine politische Frage“, sagt Abteilungsleiter Daniel Merk. Er setze vor allem auf die Kommunikation zwischen Kirchenleuten und Landratsamt.

Fakt ist, dass es rechtlich keine Garantie dafür gibt, dass Flüchtlinge nicht abgeschoben werden können. Die Polizei kann auch eingreifen, aber das passiert selten. In den vergangenen 20 Jahren sind alle Kirchenasyle in Bayern – bis auf eine Ausnahme – geachtet worden. Diese nehmen jedoch wieder zu, weiß Hermann Schweiger vom Sozialamt des Landratsamts Neumarkt. Warum das so ist, dafür werde es wahrscheinlich viele Erklärungen geben. Eine ist sicher die menschlichste: „Wir müssen uns einfach nur überlegen, was wir tun würden, wenn wir in dieser Not sind.“

Doch nicht nur die Zahlen der Kirchenasyle steigen „rapide an“, weiß Hans-Günther Schramm, einer der Sprecher des Ökumenischen Kirchenasylnetzes in Bayern. „Auch das Interesse von Kirchengemeinden und Pfarrern wächst. Wir bekommen viele Anfragen.“ Gründe? „Viele schämen sich für die Lebensumstände der Flüchtlinge in einem reichen Land wie unserem“, sagt Schramm.