Eichstätt
Kritischer Blick auf die Abschiebehaft

In Eichstätt formiert sich Widerstand Jesuiten-Flüchtlingsdienst kümmert sich um Rechtsberatung

26.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:35 Uhr

Endstation Eichstätt: Das dortige Gefängnis wird derzeit umgebaut: Ab Juni soll es als einzige Abschiebehaftanstalt in Bayern in Betrieb gehen. Hier sollen dann bis zu 96 Menschen vor ihrer zwangsweisen Ausreise inhaftiert werden können. Pater Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst kündigt an, dass er ein wachsames Auge auf die Haftbedingungen haben will. - Fotos: Chloupek

Eichstätt (DK) Eichstätt rückt ins Zentrum der aktuellen Abschiebethematik in Bayern: Hier soll ab Juni die dann einzige Abschiebehaftanstalt des Freistaats mit 96 Plätzen in Betrieb gehen. Während der etwa sieben Millionen Euro teure Umbau läuft, formiert sich Widerstand und regt sich Wachsamkeit.

Bis zu 86 Männer und 10 Frauen sollen ab Juni hier bis zu ihrer zwangsweisen Ausreise inhaftiert werden können. Das Eichstätter "Aktionsbündnis gegen Abschiebehaft" hat bereits mit Kundgebungen in der Stadt auf sich aufmerksam gemacht und plant weitere Aktionen, darunter eine große Demonstration am 14. Mai. "Wir wollen es nicht hinnehmen, dass Menschen, die lediglich ihr Asylrecht wahrnehmen wollten, ihrer Freiheit beraubt und somit wie Kriminelle behandelt werden", erklärt Rebecca Baumann-Ranzinger, eine Sprecherin des Bündnisses. Die "Praxis der Abschiebehaft" sei "aufgrund unklarer gesetzlicher Rahmenbedingungen und oft unzureichender Einzelfallprüfung grundsätzlich infrage zu stellen". Am Samstagabend hatte das Aktionsbündnis nun im gut besetzten Saal des Wirtshauses "Zum Gutmann" Pater Dieter Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst zu Gast.

Seine Hilfsorganisation betreut derzeit auch Menschen in der bayerischen Abschiebehaftanstalt in Mühldorf, die, wenn Eichstätt diese Aufgabe übernommen hat, wieder eine reguläre Justizvollzugsanstalt werden soll. Müller kündigte an, seine Aufmerksamkeit nach der Schließung der Einrichtung dort auf Eichstätt zu richten: Zweimal pro Woche wollen Müller und seine Kollegen in der Eichstätter Anstalt präsent sein und die Menschen dort unabhängig von den Anstaltspsychologen und -sozialpädagogen seelsorgerisch und vor allem rechtlich beraten. "Wir werden dabei besonders auf die Haftbedingungen achten." Denn anders als Untersuchungshäftlinge oder verurteilte Straftäter in regulären Justizvollzugsanstalten hätten sich die "Häftlinge", denen hier die Freiheit genommen werde, "nichts zuschulden" kommen lassen. "Abschiebehaft ist eine reine Verwaltungsmaßnahme." Deshalb will Müller ein Auge darauf haben, dass Einschlusszeiten, Besuchszeiten, Handybesitz, Gemeinschafts- und Kommunikationsmöglichkeiten nicht restriktiv geregelt werden. Wichtigste Aufgabe Müllers wird aber auch in Eichstätt sein, den Inhaftierten einen Rechtsanwalt an die Seite zu stellen. Denn im Gegensatz zu U-Häftlingen oder verurteilten Straftätern stehe Menschen, die lediglich mutmaßlich ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland verwirkt hätten, kein Pflichtverteidiger zu. Das müsse privat organisiert und finanziert werden - eine Hauptaufgabe des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, der dafür einen Spendenfonds eingerichtet hat (IBAN: DE 05 3706 0193 6000 4010 20).

Anders als dem Eichstätter Aktionsbündnis geht es Müller und dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst allerdings nicht um die komplette Abschaffung der Abschiebehaft: "Wir respektieren, dass ein Land, das Staatsgrenzen hat, eine Ausreise auch erzwingen können muss." Als "Ultima Ratio", also als letztes Mittel, sei eine Abschiebehaft also eventuell akzeptabel. Müller setzt dann allerdings ein großes "Aber". Denn seine Erfahrung in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Bayern, in deren Abschiebehaftanstalten der Jesuiten-Flüchtlingsdienst als Seelsorger, Sozial- und Rechtsberater zugelassen ist, habe gezeigt, dass ein Großteil der Abschiebehäftlinge eben zu Unrecht eingesperrt werde. Müller belegt das mit den Fallzahlen eines Anwalts, mit dem der Jesuiten-Flüchtlingsdienst zusammenarbeitet: Der habe in den vergangenen 15 Jahren 1176 Mandate gehabt, in 622 Fällen sei die Haft vor Gericht als rechtswidrig festgestellt worden. Müller errechnete 16 469 rechtswidrige Hafttage, also insgesamt rund 45 Jahre rechtswidriger Haft.

In der juristischen Begründung Müllers geht es vor allem um die Gesetzmäßigkeit der Verhältnismäßigkeit, die bei vielen der Inhaftierungen nicht gewahrt werde. Müller zitiert den maßgeblichen Paragrafen 62 des Aufenthaltsgesetzes: "Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann." Sein Resümee: "Meist würde ja zum Beispiel eine engere Meldepflicht reichen, da muss man die Leute nicht einsperren."