Die Woche der Widrigkeiten

Für die S-Bahn-Pendler nach München gehen Chaos-Tage zu Ende - Pro Bahn fordert Entschädigungen

02.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:44 Uhr
Das S-Bahn-Chaos hielt München und sein Umland die ganze Woche in Atem. Am Montag mussten Feuerwehrleute bei eisigen Temperaturen Fahrgäste aus zwei Zügen evakuieren, die auf freier Strecke stehen geblieben waren. −Foto: Andreas Felsner/Berufsfeuerwehr München/dpa

München (DK) Am Freitag, parallel zu den langsam wieder steigenden Temperaturen, hatte sich die Situation in den Münchner S-Bahnen wieder etwas entspannt. Am Bahnhof Petershausen, wo auch viele Pendler aus dem südlichen Landkreis Pfaffenhofen in die dort endende S 2 einsteigen, herrschte gleichwohl eine gewisse Nervosität bei den Fahrgästen vor. "Die Handschuhe sind gefüttert und ich habe eine Thermoskanne heißen Tee dabei, falls wir diesmal über Nacht bleiben", unkte einer zu seinem Nachbarn in der Menge der Wartenden.

 

Man kann den Leuten ihren Zynismus nicht verübeln. Denn die ersten drei Tage der Woche waren das reinste Chaos gewesen beim MVV, dem Verkehrsverbund der Landeshauptstadt - und das in einem Zeitraum, der zu den kältesten des bisherigen Winters gehörte. Bis zum späten Vormittag - also während die meisten Berufstätigen zur Arbeit unterwegs sind - herrschten noch Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Dazu muss man wissen: Außerhalb des Münchner Stadtgebiets sind die meisten Haltestellen des S-Bahnnetzes völlig ungeschützt, es gibt also keine Möglichkeit, dem eisigen Wind und der Kälte auszuweichen. Wer warten muss, der friert.

Rückblick: Am Montag hatte ein Kurzschluss an der Oberleitung zwischen Pasing und Langwied, verbunden mit Störungen bei der Stromversorgung der Stammstrecke, den Verkehr weitgehend lahmgelegt. Zwei Züge mussten bei klirrender Kälte auf freier Strecke evakuiert werden. Am Dienstag dann sorgte eine Stellwerksstörung dafür, dass auf der wichtigsten S-Bahnroute überhaupt, der S 1 zum Münchner Flughafen, nichts mehr ging. Trauriger Höhepunkt war dann der Mittwoch: Am Ostbahnhof waren drei Weichen festgefroren, im Westen, in Pasing, eine weitere. Erneut war die Stammstrecke stundenlang gesperrt.

"Bei Temperaturen von bis zu minus 18 Grad kann das auch die Weichen-Heizung nicht verhindern", entschuldigte sich der zuständige Netz-Chef der Bahn für Oberbayern, Kai Kruschinski. Die Passagiere wichen auf das der Kälte weniger stark ausgesetzte U-Bahnnetz aus. Doch das ist bereits völlig überlastet, weil überhaupt nicht für die rasant wachsende Zahl an Nutzern ausgelegt. Knapp 370 000 Pendler drängen nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung täglich nach München hinein. Berlin, das mehr als doppelt so groß ist wie die bayerische Landeshauptstadt, muss täglich nur 300 000 Einpendler aufnehmen.

Durch den Münchner S-Bahntunnel fährt alle zwei Minuten ein Zug. Verbesserungen bringen soll, zumindest langfristig, das Projekt der zweiten Stammstrecke auf rund elf Kilometern Länge zwischen den Bahnhöfen Leuchtenbergring und Laim. Vor knapp einem Jahr, am 5. April 2017, war Spatenstich für das mit mindestens 3,2 Milliarden Euro an Baukosten bezifferte Projekt. Die Inbetriebnahme ist frühestens für 2026 geplant - wenn München, laut jüngsten Prognosen der Bertelsmann-Stiftung, aber bereits fast 1,6 Millionen Einwohner haben wird, rund 150 000 (also einmal ganz Ingolstadt) mehr als heute. Es ist fast wie beim Wettrennen von Hase und Igel.

Dass die Bahn die Kälte nicht technologisch und das Fahrgastaufkommen nicht logistisch bewältigen kann, ist das eine. Hinzu kommt eine oft katastrophale Informationspolitik. Durchsagen über Verspätungen und Ausweichmöglichkeiten sowie die Digitalanzeigen an den Haltestellen stimmten meist nicht mehr mit der Realität überein. Und in den S-Bahnen hielten es die Lokführer bei außerplanmäßigen Halten oft auch nicht für notwendig, die völlig ahnungslosen Fahrgäste zu informieren. Obendrein kämpft das Unternehmen mit einem Fachkräftemangel. Im Raum München weist die DB aktuell mehr als 200 offene Stellen aus: Ingenieure, Elektrotechniker und Lokführer.

Angesichts der Unannehmlichkeiten fordert der Fahrgastverband Pro Bahn jetzt Entschädigungen. Alle Kunden mit einer MVV-Jahreskarte sollten pro Chaos-Tag zehn Prozent des Preises für ein Monatsabo erstattet bekommen, so Sprecher Andreas Barth. "Es darf nicht sein, dass die Bahn miserable Leistungen erbringt und trotzdem die Fahrgäste weiterzahlen lässt." Derweil verlangt Bayerns Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann von der Bahn einen "konkreten Maßnahmenplan", um den Störungen Einhalt zu gebieten. Und SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher will die Verantworlichen vor den Wirtschaftsausschuss des Landtags zitieren.

Die Pendler aus Petershausen übrigens hatten am Freitagabend trotz gestiegener Temperaturen schon wieder Pech auf ihrer S-Bahn-Fahrt. Diesmal war es nicht der Winter, der die Heimreise stoppte: Im Gleis standen Kühe.