Coburg
Mutter muss 14 Jahre ins Gefängnis

Babyleichen von Wallenfels: Gericht stellt Totschlag statt Mord fest Freispruch für Vater

20.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:31 Uhr

Coburg (AFP) Wegen Totschlags ist die Mutter der acht toten Babys von Wallenfells zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Mit 14 Jahren Haft für die 45-Jährige blieb das Landgericht Coburg gestern in seinem Urteil aber knapp unter der möglichen Höchststrafe, die ein Jahr länger vorsieht.

Gefühlsregungen zeigt Andrea G. nicht. Während ihr freigesprochener Noch-Ehemann kurz die Faust zur Siegesgeste ballt, macht die 45-jährige Mutter der acht toten Babys von Wallenfels einen völlig unbeteiligten Eindruck. Zu 14 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt sie das Gericht - eine lange Zeit, aber weit weniger als möglich. Grund sind Vorgaben zur Verurteilung wegen der Tötung eigener Kinder.

Wäre es nach der Staatsanwaltschaft gegangen, wäre Andrea G. wegen Mords zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zudem wäre eine besondere Schwere der Schuld festgestellt worden. Dann hätte sie wohl mindestens 20 Jahre im Gefängnis verbracht. Die Anklage prüft nun, in Revision zu gehen, die Verteidigung hingegen ist zufrieden. Denn so könnte G. nun bereits nach zwei Dritteln der Strafe und damit nach neun Jahren Haft freikommen, sagt Richter Christoph Gillot.

Die Frage steht im Raum, ob dies gerecht ist bei acht toten Babys, zumal nach Überzeugung des Gerichts die Mutter in mindestens vier Fällen gezielt die Kinder erstickte. Der Richter macht keinen Hehl daraus, dass ihm und seiner Kammer die Bewertung schwerfiel. Es gebe viele, die den Fall von außen betrachteten - sie aber hätten alle Akten bearbeitet. In dem mit vielen aufgewühlten Menschen aus der Familie der Angeklagten und aus der 2800-Seelen-Gemeinde Wallenfels besetzten Gerichtssaal begründet der Richter sein Urteil betont sachlich. Das Privatleben von Andrea G. mit einer gescheiterten ersten Ehe und dann der zweiten Ehe schildert er chronologisch. Nur einzelne Bemerkungen geben einen Einblick in seine Einschätzung der Frau.

Von "Lügen" ist die Rede, von "Kaufrausch", von einer Gleichgültigkeit gegenüber den Neugeborenen: "Sie schaute nicht groß nach dem Geschlecht, sie beseitigte die ,Fremdkörper' und die Sauerei der Geburt, einschließlich einmal einer Zigarettenkippe", sagt Gillot - und zeigt in seiner Urteilsbegründung doch auch Verständnis. So gab es zwei konkrete Vorhaben der Sterilisation. Wäre es dazu gekommen, hätte es die Taten nicht gegeben. Einmal habe der "Familienrat" um Mutter, Bruder und Mann über ihren Kopf hinweg einen Termin für sie gemacht, was ein massiver Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht gewesen sei. G. ging nicht zum Termin.

Beim zweiten geplanten Termin war sie vermutlich schwanger - wäre sie hingegangen, wäre ihr Lügengebäude zusammengebrochen und sie hätte ihre Familie verloren, sagt der Richter. Ähnlich verhielt es sich demnach mit dem Verschreiben der Pille: Sie hätte dafür zum Frauenarzt gemusst, der dann entweder eine neue Schwangerschaft oder frühere Schwangerschaften hätte entdecken können.

Die Lage erschien also zumindest im Empfinden der Angeklagten ausweglos. Dass das Gericht nicht auf Mord erkannte, begründete der Richter vor allem mit Vorgaben des Bundesgerichtshofs. Bei Tötungen eigener Kinder sei nur bei "besonders krasser Selbstsucht" im Gegensatz zu einem "normalen" Egoismus von Mord auszugehen. Diese krasse Selbstsucht sieht das Gericht aber nicht. Es habe ein "Motivbündel" bei Andrea G. gegeben. Ein starkes Motiv sei für sie gewesen, dass sie ihre Familie nicht habe verlieren wollen. "Das ist nicht ein krass selbstsüchtiges Motiv" - deshalb nur die Verurteilung wegen Totschlags. Der Noch-Ehemann wird freigesprochen, weil es viele widersprüchliche Aussagen zu seinem Mitwissen gab.

Als das Urteil gesprochen wird, geht die erwachsene Tochter des Mannes aus erster Ehe zu ihrem Vater und umarmt ihn lange. Sie hatte die Babyleichen entdeckt, ihre tränenreiche Zeugenaussage war einer der emotionalsten Momente des Prozesses. Währenddessen wird Andrea G. aus dem Gerichtssaal geführt. Ihr Gesicht bleibt weiter ohne Regung, ihre Gefühle behält sie für sich.