Bürgerkrieg
Ein bisschen Bürgerkrieg

Die Gebietsreform in Bayern lief nicht immer friedlich ab – doch die meisten Bürger waren mit ihr zufrieden

06.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:51 Uhr

Nostalgie pur: Auch in Martinszell, das heute zum Nachbarlandkreis Landshut gehört, erinnert man sich gerne an die Zeit vor der Gebietsreform, als man noch zum Kreis Mainburg zählte. - Foto: oh

Ermershausen (DK) Bürgerkrieg in Ermershausen: In dem Dorf mit nur wenigen hundert Einwohnern direkt an der damaligen Zonengrenze kommt es im Mai 1978 zum großen Showdown der bayerischen Gebietsreform. Autowracks und Baumstämme versperren Straßen, das Rathaus ist verbarrikadiert. Grund dafür: Der Ort im Landkreis Haßberge in Unterfranken soll in das benachbarte Maroldsweisach eingemeindet werden.

Doch die Ermershausener wehren sich: Sie geben die im Rathaus gelagerten Akten nicht heraus. In der Nacht rücken zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei an, stürmen das Rathaus. „Lauter weiße Helme sieht man da herumspringen, da habe ich gesagt: Jetzt wird's ernst“, erinnert sich der damalige Bürgermeister Adolf Höhn später in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Auseinandersetzungen um die Gebietsreform hatten ihren Höhepunkt erreicht.
 
Dass es nicht einfach sein würde, war den Beteiligten von Anfang an klar. Der Regierung seien Begriffe wie „Größenwahn, Reißbrettstrategie, Bürgerbevormundung, Tod der Selbstverwaltung“ an den Kopf geworfen worden, erinnert sich der bayerische Innenminister Alfred Seidl 1978. Auch jetzt noch gilt die Gebietsreform als die größte bayerische Verwaltungs- und Staatsreform der Nachkriegszeit. In Kraft getreten ist der Großteil der Reform vor 40 Jahren, zum 1. Juli 1972. Damals wurde Bayern völlig neu zugeschnitten, von den vormals 143 Landkreisen blieben 71 übrig, von den 43 kreisfreien Städten 25. Auch die Grenzen der Regierungsbezirke verschoben sich, besonders in unserer Region (siehe Karte). Darüber hinaus wurden Zuständigkeiten zwischen Ministerien, Bezirken, Landkreisen und Kommunen neu verteilt. Seitdem holt man sich beispielsweise seinen Pass bei der Gemeinde.

Die Gründe für die Notwendigkeit der Reform lagen auf der Hand: In Bayern gab es im Jahr 1969 noch genau 7073 Gemeinden. Zwei Drittel davon zählten weniger als 1000 Einwohner, ein Viertel sogar weniger als 300. Das war kein Problem, solange sich die Leute ihr Wasser aus dem Brunnen holten und ihren Abfall auf den Misthaufen warfen. Doch mit den großen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts schlüpften die Kommunen immer mehr in die Rolle der „Versorgungsgemeinde“. Nun war in den kleinen Gemeinden und Kreisen mit ihren wenigen Steuerzahlern nicht mehr genügend Geld da, um moderne Straßen, Wasserleitungen und Kanäle oder gar Sportplätze, Turnhallen und Krankenhäuser zu bauen.

Immer wieder gingen der Landtag oder die Staatsregierung das Problem an – zogen aber schnell wieder zurück, als die Pläne ruchbar wurden und sich sofort Widerstand gegen die Auflösung oder Zusammenlegung von Gemeinden regte. Erst als die CSU nach den Wahlen 1966 und 1970 alleine regieren kann, wagt Ministerpräsident Alfons Goppel den großen Schritt. Jetzt geht alles ganz schnell: Im Januar 1971 gibt Ministerpräsident Goppel den Startschuss für die Reform. Durchpeitschen wird sie sein Innenminister Bruno Merk.

Der Schwabe bringt nicht nur kommunalpolitische Erfahrung mit, sondern auch trotz seiner schweren Kriegsverwundung (ihm musste ein großer Teil des linken Armes amputiert werden) ein gehöriges Maß an Energie. Der Schlüssel zu seinem Erfolg: Merk spart sich das mühsame Hickhack mit den Gemeinden fürs Erste und beginnt den Neuzuschnitt auf der Ebene der Landkreise und Bezirke. Trotz dieses „Tricks“ ist das Tempo atemberaubend. Im Frühjahr und Sommer 1971 stellt Merk seine Pläne vor, im Herbst folgt das offizielle Anhörungsverfahren. „Das kann man schon als Husarenstreich bezeichnen“, sagt Merk heute.

Die SPD opponiert nicht gegen die Gebietsreform. Sie legt sogar mit dem „Rothemund-Plan“ ein noch viel radikaleres Konzept vor, das die Auflösung der Bezirke und Landkreise vorsieht. Ihre Aufgaben sollten dann die aufgewerteten Planungsregionen übernehmen.

Vielerorts vollzieht sich die Reform geräuschlos, teilweise sind die Widerstände massiv. Auch der damalige Ingolstädter Landrat Adolf Fink will sich mit der Auflösung seines Landkreises nicht abfinden. Bei einer Sitzung des Landkreisverbandes in Riedenburg gründen einige Landräte und ihre Unterstützer den „Riedenburger Kreis“. Mit einem Volksbegehren im November 1971 wollen sie die Reform stoppen. Weil nur 3,7 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen, scheitert das Begehren. Im Dezember verabschiedet der Landtag die Änderungen, ein halbes Jahr später treten sie in Kraft.

Doch ein ebenso schwieriger Teil des Wegs ist noch zu bewältigen. Auf Gemeindeebene hat die Reform erst begonnen. Fürs Erste sind die Kommunen aufgefordert, sich bis 1976 freiwillig zusammenzuschließen. In den Genuss staatlicher Gelder kommen aber nur die Gemeinden, die den Zusammenschluss bis spätestens Mai 1978 vollziehen. Am Ende verweigern sich noch 208 Gemeinden und werden schließlich zwangsweise fusioniert oder aufgelöst. Von den ehemals 7073 Gemeinden bleiben 2053.

Für die Regierung geht es gut aus: Trotz des Ärgers landete die CSU bei der Landtagswahl 1974 bei 62,1 Prozent. Im Grunde war die Mehrheit mit der Gebietsreform zufrieden. Nur Ermershausen bleibt hartnäckig: 1994 wird die Gemeinde wieder selbstständig.

So geht’s weiter: Ein Hörsturz dank der Gebietsreform – nächsten Dienstag erinnert sich Bruno Merk an seine Amtszeit.