Wenn das Getriebe aus dem Drucker kommt

26.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr
Audi-Mitarbeiter Harald Eibisch am 3D-Aluminium-Drucker −Foto: Oppenheimer

Ingolstadt (DK) Die Digitalisierung verändert bei Audi die Produktion: Erste 3D-Metalldrucker sind beim Ingolstädter Autobauer bereits im Einsatz. Das ist aber wohl nur der Anfang eines Umbruchs. In Zukunft hat das Fließband ausgedient. Gefertigt wird dann an kleinen „Inseln“.

Ein kleines Exponat von Audis Zukunft steht im Büro von Produktionsvorstand Hubert Waltl. Ein Planetengetriebe aus Metall, etwa handtellergroß. Das Besondere daran: Es entstand im 3D-Drucker. Und es kommt noch besser: Das Getriebe wurde nicht aus einzelnen Teilen zusammengesetzt. Es wurde so konstruiert, dass man es komplett betriebsbereit aus dem Drucker nehmen kann. „3D-Druck wird die Welt komplett revolutionieren“, sagt Waltl. „Nicht nur in der Automobilindustrie.“ Natürlich sind sowohl Audi als auch die Zulieferer, von denen die Getriebe in der Regel kommen, noch weit davon entfernt, ein serientaugliches Getriebe für ein Auto auszudrucken. Dennoch zeigt das Miniaturgetriebe im Vorstandsbüro, wozu 3D-Druck in der Lage sein kann. Teils wird das Verfahren auch schon im Werk eingesetzt. Doch 3D-Druck ist nur ein Teil der Digitalisierung, die Audis Produktion künftig verändern wird.

ABSCHIED VOM FLIESSBAND

Fahrerlose Transportsysteme (FTS) gibt es bei Audi schon seit Jahren. Im Werkzeugbau etwa befördern sie – laut piepsend – tonnenschwere Lasten. Hier hat sich schon viel getan: Während sich die älteren Modelle noch an in den Hallenboden eingelassenen Leisten orientieren, können sich die neueren Systeme praktisch frei im Raum bewegen. Die FTS werden Teil eines grundlegenden Umbruchs in der Produktion. Das Fließband hat ausgedient, an seine Stelle wird in Zukunft die sogenannte Inselfertigung treten. Bedeutet: Das Auto wird in der Produktion nicht mehr einen vorgegebenen Weg abfahren, sondern sich auf dem FTS selbst den Weg durch die Fabrik suchen. Je nachdem, um welches Modell es sich handelt – und welche Teile es benötigt.

„Ich sage nicht, dass es schon morgen kein Fließband mehr gibt“, sagt Audis Produktionsvorstand Hubert Waltl. „Aber wir werden immer modularer fertigen.“ Einen ersten Schritt in Richtung Inselfertigung hat Audi bereits gemacht. Die Produktion des Supersportwagens R8 in den Böllinger Höfen am Standort Neckarsulm ermöglicht es bereits, dass bestimmte Stationen übersprungen werden können. Bei Audi hat man auch schon einen Plan, wo das System erstmals komplett eingeführt werden soll. „In Kleinserie werden wir eine Fertigung nach diesem Prinzip aufbauen“, sagt Waltl. „Die Planungen laufen.“ Welches Modell als Erstes in diesem Prinzip entsteht, will Audi noch nicht verraten. Denkbar wäre das beispielsweise bei einem Derivat der Tochtermarke Lamborghini.

START-UP MACHT DIE SOFTWARE

Das Problem bei der Inselfertigung ist bislang: Es gibt keinen Anbieter, der eine Software für eine derartige Produktionssteuerung im Angebot hat. Doch die Ingolstädter tüfteln bereits an einer Lösung: Sie haben ein Start-up gegründet, das eine solche Software entwickeln soll. Beziehungsweise haben sie einen jungen Mitarbeiter animiert, dazu ein eigenes Unternehmen zu gründen. Dieser soll die entsprechende Software entwickeln. „Wenn es klappt, wird er Millionär“, sagt Waltl. „Aber er ist abgesichert. Wenn es nicht klappt, darf er auch wieder zu uns kommen.“

„Daten sind in einem Unternehmen künftig die Erfolgsfaktoren für Produktivität“, sagt Waltl. „Wir optimieren damit unsere Prozesse.“ Um den Umwälzungen durch die Digitalisierung gerecht zu werden, wird auch die Produktion bald anders überwacht. „Künftig wird das Werk von einem Tower gesteuert – so wie am Flughafen.“

Umgesetzt wird das erstmals beim neuen Audi-Werk für den Q5 in Mexiko, das im Herbst eröffnet werden soll. Der Tower ist praktisch eine Leitstelle, in der alle Informationen und Prozesse der einzelnen Stationen der Produktion zusammenlaufen: von der Anlieferung der Teile per Lkw bis zur Auslieferung der fertigen Autos. Hier sitzt der Logistiker beispielsweise neben einem Mitarbeiter von der Instandhaltung. Sobald das automatisierte Fahren einen größeren Schritt nach vorne macht, sollen die Autos dann auch nicht mehr von Mitarbeitern aus den Hallen gefahren werden, sondern von ganz alleine auf den Parkplatz rollen.

RFID-TAGS

Lange Zeit wurden Audis in der Produktion mit einem Barcode identifiziert, der von den Mitarbeitern eingescannt wurde. Diese Methode wird gerade abgelöst: Die Barcodes hinter der Scheibe waren teils nicht mehr lesbar. RFID heißt die Nachfolge-Technik – Radio-Frequency Identification. In die Stoßfänger der Autos wird bereits beim Zulieferer ein solcher RFID-Aufkleber eingeklebt. Diese sogenannten Tags lassen sich mittels entsprechender Antenne auf eine Entfernung von bis zu zehn Metern auslesen. Auf dem Chip wird nur die Fahrgestellnummer gespeichert, die restlichen Daten liegen auf Audi-Servern. Eine Stromquelle braucht ein RFID-Tag nicht, die Energie bekommt es über die Funkwellen. Man spricht deshalb von einem sogenannten passiven Datenträger. Die Idee ist, künftig einzelne Bauteile wie ein Lenkrad oder Reifen ebenfalls mit RFID-Chips auszustatten. Damit auch diese einfacher und schneller zu identifizieren sind.

3D-DRUCK MIT ALU UND STAHL

Von kaum einem Zukunftsthema sind sie bei Audi derzeit so überzeugt wie vom 3D-Druck. „Ich kann damit Dinge herstellen, die ich vorher nicht herstellen konnte“, sagt Jörg Spindler, Leiter des Audi-Werkzeugbaus. „Sie können jetzt praktisch um die Ecke bohren.“ Bei Audi sprechen sie deshalb auch schon vom 4D-Druck. Die vierte Dimension ist die Funktion, die sozusagen in das Werkstück „hineingedruckt“ wird. Das ein oder andere neue Teil ist sogar schon im Einsatz. So lassen sich tatsächlich aus Werkzeugstahl Segmente für Press- oder Druckgusswerkzeuge mit integriertem Kühlkreislauf drucken. Der Vorteil: Die Taktzeiten können verkürzt werden, weil die „externe“ Kühlung mit Wasser entfällt. Außerdem können mit dem so gekühlten Werkzeug höhere Stückzahlen produziert werden, weil es weniger verschleißt.

Auch mit Aluminium wird in Ingolstadt inzwischen gedruckt. Harald Eibisch, der eigentlich zur Abteilung Aluminium-Druckguss gehört, fällt fast schon in Euphorie, wenn er vom 3D-Druck erzählt. „Das Erstaunliche ist: Die Materialqualität ist wesentlich besser als beim Guss“, sagt der Experte. „In etwa zweimal so gut.“ Er sieht sogar noch Luft nach oben.

Problem bislang: In der Automobilindustrie ist der 3D-Druck bisher nur selten wirtschaftlich. Die Werkzeugstahldrucker kosten mehr als eine Million Euro. Je nach Größe des zu druckenden Teils, kann der Vorgang von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen dauern. „Im Flugzeugbau ist der 3D-Druck natürlich sofort wirtschaftlich“, sagt Eibisch. Denn dort braucht man nur geringe Stückzahlen. Er ist sich sicher, dass der Alu-3D-Druck in der Autoindustrie in mittelfristiger Zukunft zumindest in Kleinserien-Fahrzeugen wirtschaftlich sein wird.

Audi hat also einiges im Köcher. „Das Ziel muss immer sein, vorne dabei zu sein“, sagt Waltl. „Wenn du hinterherläufst, hast du schon verloren.“