Ausflug in die gezähmte Wildnis

09.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:04 Uhr

Wahrzeichen des Münchner Tierparks Hellabrunn ist das Elefantenhaus von 1914. Weil die Tiere im Laufe der Zeit dort so viele ammoniakhaltige Hinterlassenschaften abgesetzt haben, muss das Haus zum 100-jährigen Jubiläum des Zoos saniert werden. Auch an anderen Stellen wird renoviert – die Tiere sind trotzdem zu sehen - Foto: Hagenmaier

München (DK) Man hat es als Affe nicht leicht mit so einer Obstkiste. Binnen kurzer Zeit wandelt sie sich vom lustigen Spielkameraden zum gemeinen Gegner. Wenn man die Kante blöd erwischt, begräbt sie einen unter sich, so dass nur noch ein paar Affenfinger und von der feuerroten Sturmfrisur ein paar Strähnchen aus der Kiste spitzen. Und wie soll man da jetzt wieder rauskommen? Papa liegt verzottelt in einer Ecke und döst, also hilft nur die eigene kleine Orang-Utan-Kraft, und dann ab zu Mama, ein wenig nuckeln und ausruhen.

Andreas Knieriem liebt die Orang-Utan-Babys. "Unbeholfen, pfiffig, schadenfroh und jeder hat eine andere Frisur." Ein Zoodirektor hat kein Lieblingstier. Eigentlich. Aber wenn doch? Dann wären es für Knierim die Affen mit dem langen roten Zottelfell.

  Seit etwas mehr als einem Jahr ist Andreas Knierim, Chef des Münchner Tierparks Hellabrunn. Der neue Direktor hat über seinen Zoo schon eine ganze Flutwelle an neuen Ideen ausgeschüttet. Das beginnt mit ganz einfachen Dingen, zum Beispiel die dornenbewehrten Berberitzensträucher an den Wegrändern auszustechen, damit sich die Kinder nicht mehr pieksen. Überall wird geplant und gebaut: An den Gehegen hängen Schilder wie "Wir verschönern das Schildkrötenhaus" oder "Wir ackern für die Affen". Eine neue Pinguinanlage soll entstehen, "und die Damhirsche brauchen neue Ställe, die wohnen bis heute in einem Pferdelazarett aus dem Zweiten Weltkrieg", sagt Knieriem. Die Auerochsen sollen einen Teil ihres Geheges abgeben – "im Schnee hat man gut gesehen, dass sie nur ein Viertel davon nutzen". Dafür seien die Giraffen und die Löwen ziemlich eingepfercht: "Das stellen wir jetzt alles ab."

Andere würden vor so viel Umgestaltungsbedarf zurückschrecken. Knieriem sieht darin eine Chance für sein wichtigstes Vorhaben. Hellabrunn ist ein so genannter Geo-Zoo, der älteste der Welt, jedes Areal entspricht einem Erdteil. "Das Konzept ist mit der Zeit aufgeweicht worden", sagt der 45-Jährige. Er will es wieder deutlicher erkennbar machen.

Doch jetzt steht erst einmal der 100. Geburtstag an. Das Jubiläumsjahr hat nicht ganz so begonnen, wie es sollte: mit dem Tod der Löwen-Oma Tombi und der Nachricht, dass das denkmalgeschützte Elefantenhaus von 1914 nicht nur außen, sondern auch innen dringend saniert werden muss. "Hundert Jahre Elefanten- und Giraffenurin haben den Beton bröselig gemacht", erklärt der Zoodirektor. Elefantenbulle Gajendra musste nach Leipzig umziehen, die Kühe – zwei davon hochschwanger – und die Giraffen bekommen Provisorien auf dem Gelände, bis ihr neues und größeres Gehege an einer ganz anderen Stelle des Tierparks fertig sein wird.

Eine andere Baustelle ist schon abgeschlossen: Seit Ende letzten Jahres hat Hellabrunn eine neue Eisbärenanlage, dreimal so groß wie die vorherige und mit der Möglichkeit, den Tieren beim Schwimmen unter Wasser zuzusehen. Das Bärenpärchen Giovanna und Yoghi hat sich schon gut eingelebt. "Giovanna ist ein sehr lustiger Bär", sagt Knieriem. Und eine Diva: "Das Wasser angewärmt sein, sonst geht sie nicht rein", erzählt ein Mitarbeiter. "Neulich wollten wir sie für Fotoaufnahmen mit Fischen ins Wasser locken. Das hat nicht geholfen. Nur Yoghi ist reingesprungen, dem ist die Kälte wurscht, es geht nur ums Fressen."

Für den hundertsten Geburtstag hat der Tierpark verschiedene Sonderausstellungen geplant; die erste läuft schon: In der "Tierpfleger-Galerie" haben die Hellabrunner Interessantes über den Beruf zusammengetragen. Die eigentlichen Jubiläumsfeiern steigen aber erst Ende Juli. Dann soll es einen Blick hinter die Kulissen geben und einen in die Geschichte des Tierparks. "Vor 100 Jahren war ein Zoo noch etwas anderes", sagt Direktor Knieriem. "Erst vor etwa 30 Jahren hat man begonnen, dort auch Wissenschaft zu betreiben." Der Tierpark will heute "die Bandbreite der Biodiversität darstellen und für Tier und Natur begeistern", wie Knieriem sagt; er nimmt aber auch an verschiedenen Erhaltungszuchtprogrammen teil, ist international vernetzt, betreibt eine eigene Zooschule und forscht zum Thema Artenschutz: "Wie können wir Wildtierpopulationen in freier Natur erhalten? Das Hauptproblem ist der Mensch. Freiwillig stirbt doch kein Tiger aus."

Knierim ist fest entschlossen, den hundertjährigen Tierpark erfolgreich in die nächsten hundert Jahre zu schicken. "Wir haben viel geschafft", sagt er. "Nur noch nicht genug."