Abensberg
Daumen hoch bei den Genossen

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Gillamoos in Abensberg

04.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:33 Uhr
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zeigt seinen Zuschauern die erhobenen Daumen. −Foto: Roch

Abensberg (DK) Das TV-Duell mit Angela Merkel noch in den Knochen besteht Martin Schulz beim Politischen Gillamoos die Feuerprobe im Bierzelt. Er streichelt die geschundene sozialdemokratische Seele und begeistert das Parteivolk.

Die Kanzlerkandidatur ist auch eine Konditionsfrage. Am Sonntagabend musste sich Martin Schulz im Berliner Fernsehstudio noch verbal mit der Kanzlerin duellieren. Kaum zwölf Stunden später soll er in Abensberg ein Bierzelt in Wallung bringen. Schlaf dürfte er zwischendurch nicht viel bekommen haben. Doch der zwischenzeitlich ins Stocken geratene Schulz-Zug gewinnt in Niederbayern wieder an Fahrt. Schon beim Einzug auf das Volksfestgelände macht sich der SPD-Vorsitzende frisch ans Werk. Hunderte Einheimische im eigentlich rabenschwarzen Hopfenland empfangen ihn mit liebenswürdigem Applaus. Schulz schüttelt jede Hand, die sich ihm entgegenstreckt, lässt kein Schulterklopfen aus und hat für jeden Fan, der ihn anspricht, ein freundliches Wort. Er wirkt natürlich, authentisch und frei von Verbissenheit.

Beim Einzug in den Biertempel, der entgegen sozialdemokratischer Gillamoos- Gepflogenheit proppenvoll ist, gibt es kein Halten mehr. Mit „Martin, Martin!“-Sprechchören und wehenden roten Fahnen empfangen die Sozialdemokraten ihren Mister 100 Prozent. Der erklimmt spontan eine Bierbank, reckt Arme und Daumen in die Höhe und lässt sich in Siegerpose feiern. Man sieht es Schulz an: So macht Wahlkampf richtig Spaß. Die Stadtkapelle Berching dichtet den Gassenhauer „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ um. Nun wird der „knallrote Gillamoos“ lautstark besungen und viele Sozis grölen mit.

Der Kanzlerkandidat lässt sich von der Begeisterung mitreißen. Er steigt mit einem Seitenhieb auf das TV-Duell in seine einstündige Rede ein. Am Abend zuvor sei den Bürgern klar geworden, dass „die noch amtierende Bundeskanzlerin nur die Vergangenheit verwalten will“, stellt Schulz fest. „Ich will dagegen die Zukunft gestalten“, ruft er den Fans entgegen. Dann nutzt er den Politischen Gillamoos als Forum, um sich detailliert an seinem Kernthema soziale Gerechtigkeit abzuarbeiten. Das war beim Disput mit Angela Merkel eindeutig zu kurz gekommen. Er mahnt die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, die Abschaffung der Kitagebühren, mehr sozialen Wohnungsbau und den Ausbau der Ganztagsschulen an. Rhetorisch geschickt unterlegt er seine politischen Forderungen mit Anekdoten aus dem Leben von Bürgern, die nicht auf der sozialen Sonnenseite stehen. „Nur reiche Leute können sich einen armen Staat leisten“, lautet die Erfahrung des 61-Jährigen.

Raffiniert baut der Mann aus Würselen seine Vita in die Rede ein: „Kann ein Mann ohne Abitur Kanzler werden?“ In dieser Frage sind sich die Sozialdemokraten einig. Ein vielhundertstimmiges „Ja!“ brandet Schulz entgegen. Er hat den sozialdemokratischen Stallgeruch, den die SPD-Mitglieder beim früheren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück so sehr vermisst hatten. Da hat sich einer von ihnen, ein gelernter Buchhändler, bis an die Spitze des Europäischen Parlaments nach oben geackert. Nun greift dieser Mann mit „Kassengestell, Klamotten von der Stange und Glatze“, wie Schulz selbstironisch feststellt, nach der Kanzlerschaft. Das imponiert der roten Basis. Die Genossen ärgern sich wie der Redner, dass der Bundesetat 30 Milliarden Euro Überschuss ausweist und zugleich das Pflegepersonal in den Seniorenheimen bei dürftiger Bezahlung immer mehr leisten soll.

Auch bei der Außenpolitik zeiht Schulz die Kanzlerin der Teilnahme an der „Weltmeisterschaft des Ungefähren“. Die Gespräche über den Beitritt der Türkei müssten beendet werden, verlangt der überzeugte Europäer. Unmissverständliche Worte findet er auch zu USPräsident Donald Trump, der es nicht schaffe, sich von einem „Nazi-Mob und weißen Rassisten mit Hakenkreuzflaggen“ zu distanzieren.

Mit einem Appell für Europa und eine gerechtere Verteilung des Wohlstands im Land beendet Schulz seine Rede. Der Jubel will kein Ende nehmen. Adrette junge Frauen im Dirndl entern die Bühne. Sie sind frisch geworbene SPD-Mitglieder und nehmen aus der Hand des Vorsitzenden ihr knallrotes Parteibuch entgegen. So wird der Kanzlerkandidat für den Wahlkampf-Endspurt motiviert.