Irlahüll
Bizarre Besucher im Blättergewand

100 Jahre Freistaat - Der Wasservogel

25.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:21 Uhr
Die Verwandlung: Ein Bub wird in Irlahüll am Johannistag zum Wasservogel - komplett verhüllt mit frischen Buchenzweigen. −Foto: Schröder

Irlahüll (DK) Einst war es ein weit verbreiteter Wasserkult. Ein Jugendlicher, eingehüllt in Buchenzweige, wird durchs Dorf geführt und mit Wasser übergossen. Heute ist der Brauch fast gänzlich vergessen. Im Dorf Irlahüll im Landkreis Eichstätt aber wird er noch gepflegt. Bloß auf die "Dusche" wird verzichtet.

Der Bischof von Eichstätt hat's einst verboten, anno 1696 - und man kann sich gut vorstellen, warum. Ein solch sonderbares Treiben war auch bei viel gutem Willen nicht mit irgendwelchen christlichen Traditionen zu begründen. Das führte vielmehr weit zurück in heidnische Zeiten. Aber wie immer bei Verboten: Es finden sich Leute, die sich nicht darum scheren. Und deswegen gibt es bis zum heutigen Tag im 280-Seelen-Dorf Irlahüll (Markt Kipfenberg) im Landkreis Eichstätt den Brauch des Wasservogels. Wasservogel? Nie gehört? Kein Wunder, denn das ist eine ziemlich rare bayerische Tradition. Am Nachmittag des 23. Juni, am selben Tag, an dem auch die Johannisfeuer entzündet werden, ist es wieder soweit.

Beim Wasservogel wird ein Jugendlicher oder ein Kind komplett in frisch geschnittene Buchenzweige eingebunden und dann von einer fröhlichen Schar an einem Strick durchs ganze Dorf, von Haus zu Haus, geführt. An jeder Tür sagen die Besucher ein gereimtes Sprüchlein auf - und im Gegenzug gibt es Geld und Süßigkeiten. Früher erbat sich die Truppe um den Wasservogel Eier und Schmalz. Die Gaben wurden dann unmittelbar im Anschluss an den Rundgang als Rührei (im Dialekt des Juras "Oirischmalz") gebraten und gemeinsam verzehrt. Noch vor ein paar Jahren war das so. Aber es halten halt auch auf den Dörfern immer weniger Leute Hühner. Der Spruch an den Haustüren lautet übrigens: "Heiliger St. Florian, zünd mei heiligs Feuer an, is a guate Frau im Haus, teilt Oirischmalz aus, is a guader Herr im Haus, teilt a paar Kreuzer aus, is a böse Magd im Haus, haut uns mit'm Besn naus, is a böser Knecht im Haus, haut uns mit da Goisl aus!"

Organisiert wird die Aktion vom Obst- und Gartenbauverein Irlahüll-Buch unter Vorsitz von Peter Schröder (53) und er weiß ebenso wie die Irlahüller Ortssprecherin Sabine Biberger und das ortsansässige, pensionierte Lehrerehepaar Margarete und Günter Herde, dass sie da eine regionale Rarität pflegen und liebevoll aufrechterhalten, Zum Treffen kommt auch Beate Biedermann mit ihrem Sohn Lukas (10), der schon allerhand Erfahrung mitbringt. Es sieht so aus, als ob Lukas in diesem Jahr den Wasservogel machen könnte - aber der Bub ist sich da noch nicht so sicher. Nicht auszuschließen, dass das bei den Gleichaltrigen als uncool ankommt. Andererseits gibt Gartlerchef Schröder zu verstehen: Die Einnahmen werden zwar gerecht unter allen Kindern aufgeteilt, allein der Wasservogel bekommt das Doppelte. Da kommt Lukas dann doch ins Grübeln, denn anscheinend lassen sich die Irlahüller Dorfbewohner nicht lumpen.

Günter Herde, seines Zeichens Irlahüller Dorfchronist, erinnert sich noch gut, wie er 1965 erstmals in dieses kleine Dorf hoch über dem Altmühltal kam und vom Wasservogel hörte. "Das war schon klar, dass das etwas Exklusives ist." Wobei sich dann herausstellte, dass ganz in der Nähe, in Irfersdorf (Stadt Beilngries) "im Prinzip dasselbe" stattfindet - bloß dass das Buchenzweig-"Monster" dort Johannisbock heißt. In Ilbling wiederum (Markt Kinding) wird ein Kind komplett in Stroh eingebunden und als "Tanzbär" durchs Dorf geführt Günter Herde: "Der hat einen langen Schwanz aus geflochtenem Stroh, an dem sich alle festhalten." In Ilbling übrigens geht die ganze Gesellschaft am Ende zur Altmühl, wo das Stroh des Tanzbären feierlich verbrannt wird.

Der Brauch des Wasservogels ist auch im Bayerischen Wald und im bayerischen Schwaben noch vereinzelt anzutreffen - und überall dort ist er an das Pfingstfest gekoppelt. Die Verschiebung auf den Johannistag, den 24. Juni, ist also eine Altmühltaler Spezialität. Andernorts ist der Wasservogel auch grundsätzlich eine Sache der älteren Burschen (die statt Eiern lieber Schnaps erbitten), und überall dort gehört es dazu, dass das bizarre Blätterwesen aus den Häusern heraus mit Wasser übergossen wird, wenn es nicht gar zum Abschluss in den Dorfweiher geworfen wird. Rabiat - aber wahrscheinlich ein uralter Ritus, um Naturgeister milde zu stimmen.

Vor so rauen Sitten brauchen die Irlahüller Kinder keine Angst zu haben: Bei ihnen im Dorf geht es friedlich zu, und alle Leute warten schon darauf, dass der Wasservogel kommt. In Irlahüll hält man nämlich viel auf die Dorfgemeinschaft und ein üppiges Vereinsleben samt Leonhardi-Bruderschaft, und dass der Lukas im Fasching das Goaßlschnalzen praktiziert, ist Ehrensache. Genauso, dass die Kinder bei Hochzeiten im Dorf mit Stricken wegelagerisch die Straße blockiern und die Gäste abkassieren.

Man darf ziemlich sicher sein, dass unter all diesen Umständen der aktuelle Bischof auch nichts mehr gegen das fröhliche Treiben um den Wasservogel einzuwenden hat, steht es doch für eine lebendige Dorfgemeinschaft. "Es geht auf jeden Fall auf etwas Heidnisches zurück", sagt Margarete Herde und meint dann zu Lukas: "Aber das macht nichts, du darfst es als Ministrant trotzdem machen."

Richard Auer