Ingolstadt
Tracht und G'wand

15.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:24 Uhr
Geschichtsträchtig: Die Original-Lederhose des bayerischen Schriftstellers Oskar-Maria Graf. −Foto: Wenisch

Ingolstadt (DK) 100 Jahre Freistaat – Die Lederhose: Zum Jubiläum des Freistaats Bayern nehmen wir das Land und seine Bewohner genauer unter die Lupe. Den gesamten Mai über stehen Traditionen und Bräuche im Mittelpunkt. Die heutige Folge unserer Serie hat ein klassisches bayerisches Kleidungsstück zum Thema: die Lederhose.

Lederhose ist nicht gleich Lederhose. Das sagt Rudi Dietz, und der muss es wissen. Der 56-Jährige ist seit 2004 der Vorsitzende des Donaugau-Trachtenverbandes mit 31 Vereinen und 6100 Mitgliedern plus 1000 Kindern und Jugendlichen - und natürlich stolzer Besitzer mehrerer Lederhosen. Mit Krachledernen haben die freilich nur wenig zu tun, auch wenn der oberste Trachtler des Donaugaus sich vor einiger Zeit sogar eine "Billig-Lederhose" zugelegt hat, wie er es nennt, ein ganz normales Exemplar von der Stange aus einem der einschlägigen Geschäfte. "Damit gehe ich auf Volksfeste oder auf den Barthelmarkt", erzählt er. So, wie es halt unzählige andere auch machen. Und das ist für Dietz auch völlig in Ordnung. "Früher ist doch keiner mit der Lederhose aufs Volksfest gegangen", erinnert er sich. "Vor 20, 25 Jahren hat es auch noch keinen Moser gegeben." Doch seit gut zehn Jahren rollt die Trachtenwelle jetzt schon, und ein Ende ist derzeit zumindest noch nicht abzusehen. "Ich bin froh, dass die Leut' ein boarisches G'wand anziehen", sagt Dietz - vor allem auch die Jugend.

Mit dem G'wand und der Tracht benennt Dietz den für ihn als vereinsmäßig organisierten Trachtler entscheidenden Unterschied. Denn die Aufmachung, womit die meisten aufs Volksfest gehen, also kurze oder Bundlederhose, Hemd (zumeist kariert) und vielleicht noch Haferlschuhe, das ist für ihn ein G'wand. Eine Tracht, das ist für Dietz die überlieferte Bekleidung der Bevölkerung.

Doch auch hier gilt: Tracht ist nicht gleich Tracht. Der Fachmann unterscheidet zwischen Gebirgs- und Volkstracht. Erstere stammt, wie der Name schon sagt, aus dem Alpen- und Voralpenraum und war in unserer Region ursprünglich nicht verbreitet, wurde aber von vielen Trachtenvereinen aufgegriffen. Es gibt mehrere Varianten, wobei die Details von Schuhen, Hemden, Westen etc. jeweils genau definiert sind. Am bekanntesten dürfte wohl die aus Miesbach mit den grauen Joppen und blauen Krawatten sein. Vielfach wird die Gebirgstracht als die bairische Tracht schlechthin angesehen, was aber so nicht stimmt.

Wer am bairischen G'wand Gefallen gefunden hat und authentischer werden möchte, ohne gleich einem Verein beizutreten, sollte einige Regeln beachten. "Eine Trachtenlederhose ist aus Hirschleder, zum boarischen G'wand tut's auch was anderes", sagt Rudi Dietz. Die bairische Variante hat hinten eine vertikale Naht, die Tellernaht ist österreichisch. Traditionelle Farben sind braun oder auch schwarz, die Stickereien sollten einfarbig sein und sich auf Jagd- oder Naturmotive beschränken. "Wappen oder Rauten? Mein's wär' s nicht ", sagt Dietz, wobei er nicht-organisierten Trachtlern generell durchaus gewisse Freiheiten zugesteht: "Wenn's nicht zu extrem ist." Unverzichtbar sind die Hosenträger mit Steg und der Hirschfänger.

Wer's noch ein Stück originaler mag, trägt weiße oder gestreifte Hemden, aber auf keinen Fall karierte: Die konnte man früher in Bayern nämlich nicht herstellen. Haferlschuhe, Strümpfe und eine Weste, auch Leiberl oder Gilet genannt, sind ebenfalls traditioneller Bestandteil. Gleiches gilt für den Hut ("für den Mann das Symbol der Freiheit") und die Joppe, wobei es dann bisweilen im Bierzelt schon recht warm werden kann. Kommentar Dietz: "Schwitzen gehört zur Tracht dazu."

Und dann gibt es noch die Volkstracht, wie sie - durchaus unterschiedlich - in der Region früher getragen wurde. Alte Fotos geben Zeugnis davon. Charakteristisch sind die Faltenstiefel (siehe Bericht unten) und die knöchellange schwarze Lederhose. Trug man in der Stadt Joppen oder Jacken, bevorzugten die reichen Holledauer lange Mäntel, wie die Weste oftmals mit silbernen Münzknöpfen besetzt.

Rudi Dietz besitzt alle Varianten. "Aber es muss nicht immer Festtagstracht sein", sagt er. Was er anzieht, hängt vom Anlass ab. An hohen Festtagen oder bei Gautreffen ist sie angebracht, während er am Barthelmarkt eine ganz normale Lederhose trägt.

Von Bernhard PehlDas Ziel: Möglichst viele Falten
Der Schuhmachermeister Bernhard Schießl stellt noch Traditionsstiefel her, die auch zur bayerischen Männertracht gehören 

Herr Schießl, wie macht man eigentlich die Falten in den Faltenstiefel?

Bernhard Schießl: Mit einem Walkeisen und einer Schnur. Aber die Falten sind erst der vorletzte Schritt. Ich mache meine Stiefel noch komplett in Handarbeit. Zuerst werden die Maße des Kunden genommen, dann wird ein Leisten hergestellt. Als nächstes fertige ich ein Schaftmodell, danach macht meine Frau die Stepparbeiten. Wie bei anderen Schuhen auch sind Sohle und Absatz die nächsten Schritte. Dann kommen erst die Falten, die letzte Arbeit ist dann das Schwärzen.

Und wie geht das Faltenlegen genau? 

Schießl: Der Faltenteil eines Stiefels mit sechs Falten ist anfangs ungefähr 25 Zentimeter lang. Da bleiben am Schluss gut zehn Zentimeter übrig. Der Stiefel kommt ins Wasser, bis keine Blasen mehr entstehen. Dann wird das weiche Leder über das Faltenholz gezogen und die Falten mit einem Walkeisen eingearbeitet und mit einer Schnur eingebunden. Das Trocknen ist Erfahrungssache, das muss man im Gefühl haben. Die Schnur wird durchgeschnitten, das Faltenholz, das aus zwei Teilen zum Einstellen besteht, kommt raus. Als letzter Schritt werden von Innen her die Spitzen der Falten im Leder nachgezwickt, damit es schöner ausschaut. Der Schuh wird dann noch in ein glattes Holz geschoben.

Da stecken bestimmt jede Menge Arbeitsstunden drin? 

Schießl: Nach wenigstens 60 Stunden ist es vorbei, wir haben aber auch schon 90 Stunden daran gearbeitet. Ich sag' immer, das ist mein berufliches Hobby. Zurzeit mache ich aber keine Stiefel, weil die Lederqualität zu schlecht ist. Aber ich hab' einen neuen Gerber, vielleicht dann wieder, mal schauen.

In Ihrem Laden in Gaimersheim stehen verschiedene Modelle. Worin bestehen die Unterschiede? 

Schießl: Es gibt Stiefel mit und ohne Verzierungen, in Schwarz und mit Farbe. Und natürlich die Zahl der Falten. Es gibt vier, sechs, neun und zwölf. Je nachdem, was sich früher einer hat leisten können.

Die Zwölfer waren also die der geldigsten Bauern? 

Schießl: Wer es sich leisten hat können, hat das auch gezeigt. In Gaimersheim ist historisch nur ein zwölffaltiger Stiefel nachweisbar.

Ist das heute auch noch so, also mit dem Geld? 

Schießl: Man muss sich vorstellen, dass Zwölffalter 150 Jahre lang nicht mehr hergestellt worden sind. 2002 oder 2003 ist dann ein Kunde zu mir gekommen, der wollte unbedingt solche Stiefel. Da hab' ich ihm gesagt, dass ich dafür ja extra ein Faltenholz machen lassen muss. Das wird viel zu teuer. Das war dem aber wurscht, der wollte die Stiefel unbedingt, koste es, was es wolle. Und dann hat er gesagt: ,Ich zahl' Dir die Hälfte vom Holz. ' Und so habe ich meinen ersten Zwölfer hergestellt. Und was ich von meinen Kunden weiß, bin ich der einzige, der das überhaupt macht.

Wie sind eigentlich die Faltenstiefel entstanden? 

Schießl: Die gibt es erst seit 1860, 1870, bis zum Ersten Weltkrieg. Vorher waren die Stiefel glatt. Das ist auf alten Bildern zu sehen. Früher waren nämlich die Männer viel modebewusster als die Frauen. Zur Herkunft der Faltenstiefel gibt es zwei Theorien: Die eine besagt, dass es Schiffleute (Seeleute auf Binnengewässern) waren. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, dass osmanische Reiter diese Form nach Europa brachten. Das Militär hat sie übernommen, und dann wurden sie auch in der Tracht verwendet. Aber grundsätzlich merkt man: Je näher ein Ort an einer Stadt war, desto früher wurde sie wieder abgelegt. In Gaimersheim beispielsweise ist ab 1900 das langsame Erlöschen der Männertracht zu verzeichnen.

Das Interview führte Bernhard Pehl.

ZUR PERSON: Bernhard Schießl entstammt einer alten Gaimersheimer Schuhmacherfamilie. Der 54-Jährige ist Orthopädie-Schuhmachermeister und ist einer der ganz wenigen, die noch Faltenstiefel herstellen. Im Gegensatz zu anderen Betrieben macht er alles in Handarbeit. 

Lesen Sie in der nächsten Folge: Was hat es mit dem Phänomen der in vielen Orten Bayerns allgegenwärtigen Stopselclubs auf sich?