Tradition mit neuen Ideen verwoben

100 Jahre Freistaat Bayern - Volksmusik

29.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:19 Uhr
Der Roider Jackl (1906-1975) nahm in seinen Gstanzln auch gerne Politiker aufs Korn. −Foto: Werner Roider/dpa

Die bayerische Volksmusik zeichnet sich durch einmalige Sonderformen aus. Dazu gehört unter anderem das "Aussingen" mit vierzeiligen Gstanzln, auch Schnaderhüpferl genannt. Der bekannteste Volkssänger seiner Zeit war der Roider Jackl.

Jetzt muaß i aufhörn zum singa,
sonst wer i no berühmt,
und kriag no a Denkmal,
wo's Wasser rausrinnt."

Lange hat der Jakob Roider im Himmel drob'n nicht warten müssen, bis man ihm hienieden ein Denkmal setzte. Schon zwei Jahre nach seinem Tod im Mai 1975 wurde auf dem Münchner Viktualienmarkt, einem Knotenpunkt weiß-blauer Lebensart, ein bronzierter Roider Jackl samt Gitarre auf einen Marmorsockel gestellt, aus dem auch noch nach vielen Jahren das Wasser nicht nur herauströpfelt: unverkennbares Zeichen dafür, dass dieser Roider ein wahrer und kein billiger Jakob war. Schließlich hat es der Häuslersbub aus Weihmichel nach dem Zweiten Weltkrieg zum bekanntesten Volkssänger im Freistaat gebracht. Obwohl er hauptberuflich im Freisinger Forstamt den Ton angab, war seine Passion das Verfassen von Gstanzln, die er mit dosierter Inbrunst vortrug.

Als Schnaderhüpferlsänger wurde er eine Autorität, die Politikern aller Couleur, auch manchem Frankenapostel, reinen Wein einschenkte: "Wir Franken sind die, die bayrisch gern schwanken", unterstellte er den Beutebayern schon 1954. Maßgebliche Politiker wie der CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer und Herbert Wehner, ein SPD-Vorsitzender, den noch jeder kannte, verbeugten sich vor dem altbairischen Urgestein. Franz Josef Strauß klopfte ihm jovial auf die Schulter, weil er wusste, dass dieser scharfzüngige Zeitkritiker mit seinen gesungenen Versen keine destruktive Schadenfreude stimulierte und auch nach einem kräftigen Schluck aus dem Keferloher weder Gift noch Galle spie.

Mit seiner schalkhaften Hinterkunft wurde der Roider Jackl zum ersten Botschafter bayerischen Humors; und seine politische Weitsicht machte ihn zu einem aufmerksamen Wächter über das bayerische und deutsche Gemeinwesen. Jahrzehntelang galt er als das stärkste Zugpferd, das Prominente und solche, die sich dafür hielten, zum Starkbieranstich auf den Nockherberg hinaufzog. Selten hat es einer bereut, dem Roider zugehört zu haben. Verärgert waren manche Politgrößen und Staatskanzleischranzen nur dann, wenn ihnen der Freisinger Gstanzlsänger keinen seiner Vierzeiler widmete.

Dass der Roider Jackl mit seinen Schnaderhüpferln so oft ins Schwarze traf, lag an seiner scharfen Beobachtungsgabe und seinem sicheren Urteilsvermögen, gepaart mit seiner unverwüstlichen Sangesfreude. Zahlreiche Hochzeitslader haben diesem Könner des musikalischen Derbleckens nachgeeifert und damit eine einmalige Tradition geschaffen. Ein derber Komödiant, deren es einige unter den gegenwärtigen Comedians gibt, ist der Roider Jackl nie gewesen. Das Gespür für das Unverfälschte, die verschmitzte List sowie die Lust am rassigen Musizieren und das unverblümte Geradeheraus-Singen sind Merkmale guter Volksmusik.

Zweifellos steht der Roider Jackl damit in einer Reihe zahlreicher bayerischer Volksmusikgrößen, die nach der sogenannten guten alten Zeit die landesspezifische Mentalität aufspürten: ohne Betulichkeiten und Idyllisierungen. Ein Beispiel ist Annette Thoma, die mit ihrer Deutschen Bauernmesse eine einfache und grundehrliche Religiosität zum Klingen brachte. Da sind die Sammlungen des nimmermüden Kiem Pauli, der den bodenständigen Landbewohnern ein Zeugnis ausstellte, das sich hören lassen kann. Viele andere zählen zu den Pionieren der waschechten bayerischen Volksmusik: Sänger und Musikanten, die neue Ideen sorgfältig mit alten Traditionen verwoben, denen sie sich verpflichtet fühlten.

Eine Konstante dieser Musik blieb immer ein von Natürlichkeit geprägtes Musizieren, das mit heiterem Temperament oder auch mit einer ergreifenden Beschaulichkeit erfolgt. Da ist kein Platz für volkstümliche Kommerz-Schlager. Die echte Volksmusik zielt auch nicht darauf ab, als folkloristisches Exportgut Nordlichter zu amüsieren. Peinlich kann es auch werden, wenn sich Dilettanten nach dem Motto "für d' Volksmusik taugt's scho" an schönen Weisen versuchen. Und auch Puristen, die ihre Aufgabe ausschließlich in der Mumifizierung von Althergebrachtem sehen, dienen der Volksmusik nur bedingt.

Tatsache ist, dass die bayerische Volksmusik ein riesiges Reservoir bietet, aus dem experimentierfreudige Musikanten gerne schöpfen und dann ihrer Fantasie und Spielfreude freien Lauf lassen können. Einem scheinbar unaufhaltsamen Trend folgend, vermischen viele Gruppen harmonische und rhythmische Elemente unterschiedlicher Musikrichtungen aus aller Herren Länder. Da entsteht viel Neues und Interessantes! Eine Gratwanderung bleibt das allemal: Weltmusik statt Volksmusik? Mal schau'n, beziehungsweise hören, was bleibt.

Lesen Sie in der nächsten Folge:
Bayerisches Essen ist sehr regional und traditionell geprägt. Doch wie hat es sich verändert - und wird sich verändern?