Ingolstadt
Was wir von Insekten lernen können

Gespräch mit Verhaltensforscher Lorenzo von Fersen über die Logistik der Blattschneiderameisen

28.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:03 Uhr

Ingolstadt (DK) Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Über dieses Thema diskutieren nächste Woche Experten aus der Automobilbranche auf dem Kongress "Mobilität querdenken" in Ingolstadt. Wir haben uns im Vorfeld mit zwei der Referenten unterhalten – unter anderem mit Lorenzo von Fersen.

Lorenzo von Fersen ist Verhaltensforscher im Tiergarten Nürnberg und in erster Linie bekannt für seine Arbeit mit Meerestieren. Allerdings beschäftigt sich der gebürtige Argentinier auch mit Insekten, unter anderem mit den Blattschneiderameisen. Er wird beim BAIKA-Kongress zum Thema "Was wir von Insekten lernen können" referieren.

Herr von Fersen, sollten sich die Chefs von Logistikunternehmen am besten mal bei Ihnen im Zoo umschauen?

Lorenzo von Fersen: Ja. Das wäre ein guter Ansatzpunkt. Alle Tierarten müssen ähnliche Probleme lösen wie wir Menschen – etwa Futter organisieren und über verschiedene Stationen transportieren.

 

Sie referieren über die Blattschneiderameisen. Warum sind die aus logistischer Perspektive so interessant?

Von Fersen: Blattschneiderameisen sind soziale Insekten. Wir reden hier von Schwarmintelligenz – nicht von der Intelligenz eines einzelnen Individuums. Im Grunde muss man sich so eine Ameisenkolonie vorstellen wie einen Organismus: Die einzelnen Zellen sind die einzelnen Ameisen. Informationen werden von einzelnen Tieren übertragen. Im Gesamten ergibt das eine Intelligenz, die berauschend ist. Vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig Nervenzellen so eine Ameise hat.

 

Was begeistert Sie an den Tieren denn speziell?

Von Fersen: Dass sie so schnell und im Verhalten so variabel sind. Wenn eine Ameisenkolonie neu startet, dann schaffen es die Tiere in kürzester Zeit, die Futterquellen rund um den Bau abzusuchen und die beste zu finden. Innerhalb eines Tages laufen alle in dieselbe Richtung. Sie gehen kürzeste Wege, ohne sich zu verlaufen. Dazu müssen Sie bedenken, dass eine Ameise etwa das Zehnfache ihres Körpergewichts transportieren kann – das ist, als ob ein Mensch ein Rind im Maul transportieren müsste.

 

Und sie bauen sogar belüftete Tunnel.

Von Fersen: Das stimmt. Ihr Bau ist ein ausgeklügeltes System. So ein Nest hat teilweise 16 Meter Durchmesser und eine Tiefe von acht Metern. Mit den gesammelten Blättern züchten die Tiere in speziellen Kammern Pilze, von denen sie sich ernähren. Dort herrschen sehr hohe CO2-Konzentrationen. Ein Mensch könnte dort nicht überleben. Die Ameisen halten sehr viel mehr aus – trotzdem bauen sie Kamine ein, damit die Luft besser zirkuliert.

 

Wie verständigen sich die Tiere?

Von Fersen: Ihre Kommunikation läuft über Chemie. Sie sondern Pheromone ab – Duftstoffe, die anderen sagen, was sie tun sollen. Je breiter die Duftspur, desto attraktiver die Futterquelle.

 

Was kann sich der Mensch nun von den Ameisen abschauen?

Von Fersen: Ihr System der Schwarmintelligenz ist absolut verblüffend. Ihr Verhalten dient Forschern, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen, als Grundlage. Der Italiener Marco Dorigo hat daraus einen Algorithmus namens Ant Colony Optimization (ACO) entwickelt. Damit lassen sich logistische Probleme lösen. Einige Airlines und Transportunternehmen arbeiten damit.

 

Zum Beispiel?

Von Fersen: Ich weiß, dass eine französische Firma ein auf diesem Algorithmus basierendes Programm benutzt, um die Lkw auf ökonomischste Weise zu den verschiedenen Kunden zu bekommen. Der Algorithmus hilft, kürzeste Wege zu finden und dabei keinen Kunden auszulassen und keinen doppelt anzufahren.

 

In so einem Bau leben Millionen von Ameisen. Gibt es da eigentlich auch Staus?

Von Fersen: Es läuft chaotisch ab, aber es kommt nur selten zu Zusammenstößen. Es gibt nicht wie bei uns eine linke und eine rechte Straßenseite. Die Ameisen laufen einfach durch. Bei uns im Zoo verlaufen die Ameisenstraßen durch Plexiglasschläuche mit einem Durchmesser von einem Zoll. Da laufen oft fünf oder sechs Ameisen nebeneinander, oft noch mit einem Blatt im Gepäck – aber Staus gibt es eigentlich nicht.

 

Die Fragen stellte Sebastian Oppenheimer.