Ingolstadt
Testfahrt auf sechs Beinen

Audi nimmt seinen dynamischen Fahrsimulator in Betrieb die Entwicklung dauerte fünf Jahre

08.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Extrem realistisches Fahrgefühl: Der dynamische Fahrsimulator steht vor einer vier Meter hohen Leinwand. - Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Rundenzeit: eine Minute und 54 Sekunden. Das geht schneller! Der Körper spannt sich im Sitz an. Das Gaspedal berührt das Bodenblech. Der Motor dreht hoch und mit 210 Sachen schießt der Audi über die Start-Ziel-Gerade der Rennstrecke im niederländischen Zandvoort. Plötzlich geht das Licht an. Irritation macht sich breit. Die Rennstrecke, vorher noch klar und deutlich zu sehen, verblasst langsam. Die Realität kehrt zurück.

"Ich weiß, so eine Fahrt im Simulator ist sehr fesselnd. Alles ist sehr realistisch. Aber der Kollege im Kontrollraum hat wohl entschieden, dass genügend Runden gedreht wurden", sagt Richard Uhlmann und lächelt.

Richard Uhlmann ist Entwicklungsingenieur bei Audi. Zusammen mit Cruden, der niederländischen Herstellerfirma des Simulators, haben er und seine Kollegen fünf Jahre an dessen Entwicklung gearbeitet. Der Simulator sollte perfekt auf die Anforderungen von Audi abgestimmt sein. Er befindet sich in einem großen Raum auf dem Gelände der Technischen Entwicklung und besteht im Grunde aus einer Fahrzeugkabine, die auf einer beweglichen Plattform befestigt ist. "Die Plattform steht auf sechs Beinen, die den Simulator bewegen können", erklärt Uhlmann, während er den Simulator umrundet. "Vor ihm steht eine Leinwand, auf die die Strecke projiziert wird. Je nachdem, wie der Fahrer lenkt, bewegt sich der Simulator auf seinen Beinen, und das Bild auf der Leinwand passt sich der Bewegung an." Die Leinwand ist riesig. Sie ist vier Meter hoch und umgibt mit ihrer gewölbten Form das ganze Sichtfeld des Fahrers "Die große Leinwand und das realistische Fahrgefühl bewirken, dass der Fahrer komplett in das Geschehen eintauchen kann", sagt Uhlmann.

Andreas Wagner leitet die Abteilung, in der Richard Uhlmann arbeitet, und erklärt Sinn und Zweck des Simulators: "Mit dem Simulator möchten wir künftig Fahreigenschaften sehr früh erlebbar machen. Das hilft uns bei der Entscheidung, ob wir das Fahrzeugkonzept noch anpassen müssen. Außerdem müssen wir dank des Simulators nicht mehr so häufig auf Prototypen zurückgreifen. Das spart Ressourcen, Zeit und Geld." In erster Linie nehmen ausgebildete Testfahrer auf dem Sitz des Simulators Platz. Sie bewerten die verschiedenen Fahreigenschaften. Neigt sich das Fahrzeug zu stark nach links oder rechts beim Lenken? Kein Problem. Die Ingenieure bei Audi passen das Konzept an. Tests mit einem realen Prototypen wären viel aufwendiger. Um die Eigenschaften eines jeden Modells nachahmen zu können, befindet sich direkt neben dem Simulatorraum eine kleine Kontrollzentrale des Autos, dessen Fahrverhalten simuliert wird. Dort können die Ingenieure den Simulator mit allen nötigen Informationen füttern: Gewicht, Federung, Radstand.

Die Entwicklung des Simulators begann 2012, seit Kurzem ist er im Einsatz. "Eine der größten Herausforderungen des Projekts war es, das Zusammenspiel von Lenkbewegung und Bild aufeinander abzustimmen. Dafür haben wir mit einem Doktoranden der Universität Stuttgart zusammengearbeitet. Mit ihm haben wir einen Algorithmus dafür entwickelt", erklärt Andreas Wagner. Wenn die Bewegung des Simulators und das Bild nicht zusammenpassen, dann kann es dem Fahrer schlecht werden, weil der Gleichgewichtssinn gestört ist.

So real der Simulator Situationen erscheinen lässt, so hat er dennoch seine Grenzen. Manche Bewegungszustände können nur zum Teil oder gar nicht abgebildet werden. "Ein modernes Fahrzeug hat, je nach Geschwindigkeit, zum Beispiel einen Bremsweg von 36 Metern. Wenn sich der Bremsvorgang genauso anfühlen soll wie in der Realität, müsste man die Fahrkabine während der Bremsphase auch 36 Meter nach hinten bewegen. Man bräuchte also sehr große Wege", sagt Uhlmann. Trotzdem fühlt der Fahrer Bewegungen im Simulator. Verliert er zum Beispiel die Kontrolle, dann dreht sich das Bild, und der Simulator schüttelt den Fahrer ordentlich durch. Das sorgt trotz eingeschränkter Beschleunigungskräfte für ein sehr reales Fahrerlebnis.

Und dieses Fahrerlebnis kann süchtig machen. "Ich bin die Runde in Zandvoort schon in einer Minute und 28 Sekunden gefahren. Das ist Rekord", sagt Uhlmann herausfordernd. Also erwacht der Simulator wieder zum Leben. Herausforderung angenommen.