Es
Im China-Fieber

22.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

 

Es gibt Automessen – und es gibt die „Auto China“. Was hier los ist, lässt sich eigentlich nur mit Superlativen beschreiben. Auf keiner anderen Automesse geht so eng zu, so laut und so chaotisch. Rempler, Frontal-Zusammenstöße und Beinahe-Kollisionen ereignen sich auf den Gängen trotz ihrer Breite im Sekundentakt. Der Chinese bleibt cool, der europäische Besucher gewöhnt sich nur mit Mühe daran. Aber in China gehen die Uhren eben anders: Nur hier gibt es am VW-Konzernabend Popcorn für die Show.

Viele Besucher sind schon vor dem Betreten der Messehallen außer Puste – denn bis das Gelände erreicht ist, steht ein frühmorgendlicher Gewaltmarsch auf dem Programm. Grund ist das Verkehrschaos rund um die Messe: Um rechtzeitig bei den Präsentationen der Hersteller zu sein, ist zügiges Gehen die deutlich schnellere Alternative, als sich in Bus oder Auto im Schneckentempo zum Eingang vorzutasten.

Staus und Smog sind in Peking Alltag, die Sonne sehen die Einwohner eher selten. Um die Luftqualität zu verbessern, will die Regierung nun E-Autos stärker fördern. Eine erste Reaktion darauf ist der Denza. Er ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsproduktion von Daimler und dem chinesischen Konzern BYD (Build Your Dreams). Bis zu 300 Kilometer soll das Fahrzeug mit einer Batterieladung kommen. Der Preis von umgerechnet 42 000 ist ziemlich hoch, doch dank kräftiger Subventionen lässt er sich um fast 15 000 Euro drücken. Mit so einem emissionsarmen Fahrzeug umgeht der Käufer die Zulassungsbeschränkungen – denn in Peking ein Kennzeichen zu bekommen ist ein Geduldsspiel. Außerhalb Chinas wird der Denza nicht auf den Markt kommen.

Die Kennzeichen-Lotterie möchte auch der Nobelhersteller Bentley seinen Kunden ersparen. Deshalb stellte die zum VW-Konzern gehörende Marke in Peking das Hybrid Concept vor: Bei dieser Studie handelt es sich um eine Plug-in-Hybrid-Version des Mulsanne, die Sprit sparen soll.

Für nicht ganz so zahlungskräftige Kunden hat Volkswagen etwas im Angebot: Die Studie New Midsize Coupé (NMC) dürfte den Geschmack der Chinesen perfekt treffen. Das viertürige Fahrzeug, das auf dem Jetta basiert, ist so limousinenartig geraten, dass man wohl eher von einem Hauch von Coupé sprechen sollte. Kein Zufall, dass Volkswagen das Konzeptauto hier vorstellt, denn die Chinesen sind Limousinen-Fans. Vermutlich wird das Auto unter dem Namen Jette Coupé auf den Markt kommen.

Einen echten Hingucker zeigte BMW in Peking: Die Studie Vision Future Luxury ist eine Luxuslimousine oberhalb des 7ers. Während man mit der BMW-Tochter Rolls-Royce eher gediegene ältere Herren assoziiert, könnte dieses modern gestaltete Luxusschiff auf ein junges, internetaffines Publikum abzielen. In China gibt es viele, die sich schon im jungen Alter so ein Fahrzeug leisten können.

Offenbar stark aus München inspirieren ließ man sich beim Stuttgarter Autobauer Mercedes: Das in Peking vorgestellte Concept Coupé SUV wirkt ähnlich bullig wie der X6 von BMW, dem Mercedes mit seinem Modell wohl Kunden abjagen will. Als M-Klasse-Coupé soll es 2015 bei den Händlern stehen.

Opel hat sich nach einem erfolglosen Intermezzo aus China zurückgezogen und ist nicht mehr auf der Messe vertreten. Einige Modelle werden aber weiterhin in China verkauft – allerdings unter dem Label von Buick. So heißt der Opel Insignia im Reich der Mitte Buick Regal.

Audi will die Herzen der Chinesen mit einem SUV erobern: Die knallgelbe Studie TT Offroad Concept soll als Plug-in-Hybrid für kraftvollen Antrieb sorgen, dabei aber wenig Emissionen produzieren.

Ebenfalls auf Hybridantrieb setzt der französische Hersteller Peugeot mit der Studie Exalt. Die ungewöhnliche Optik kommt daher, dass der Exalt ohne Lack auskommt – seine Außenhaut besteht aus gebürstetem Metall. Das Konzeptauto soll einen Ausblick auf das künftige Design der Franzosen geben.

Wie wichtig der chinesische Markt inzwischen ist, zeigt sich auch an den Messeauftritten der Deutschen. Bei Volkswagen sprüht ein chinesischer Künstler vor Publikum auf eine Leinwand, bei Audi schenkt Entwicklungschef Ulrich Hackenberg auf der Bühne einem chinesischen Buben öffentlichkeitswirksam ein ferngesteuertes Modell des Showcars. Und auch die Konkurrenz schmückt sich gerne mit chinesischen Stars. Die Führungskräfte der Kooperationspartner stehen in Peking fast immer mit auf der Bühne und bekommen einen Redepart.

Beim Messerundgang wird deutlich: Die chinesische Autoindustrie befindet sich in einem Wandel. Die Zahl der offensichtlichen Plagiate ist stark zurückgegangen, auch wenn man bei genauerem Hinsehen natürlich noch die ein oder andere Kopie entdeckt. Vor allem aber gibt es nicht mehr die Vielzahl skurriler Fahrzeuge. Was die chinesischen Hersteller im Angebot haben, entspricht natürlich nicht unserem europäischen Qualitätsverständnis. Weil man im Reich der Mitte besonders gerne Limousinen fährt, stehen an den chinesischen Messeständen auch fast ausschließlich solche – das Design ist allerdings langweiliger Einheitsbrei.

Einzig interessanter Gegner für europäische Hersteller ist Qoros – ein chinesischer Hersteller, der sich eine deutsche Führungsspitze ins Boot geholt hat, um einen höheren Qualitätsstandard zu erreichen. Offenbar mit Erfolg: Stolz wirbt der Autobauer mit erfüllten NCAP-Crashnormen. Eine Sitzprobe zeigt: Die Anfassqualität im Innenraum ist wesentlich besser als die der chinesischen Mitbewerber. Noch gibt es die Fahrzeuge nicht in Europa, aber schon im nächsten Jahr soll es so weit sein. Ob sich die Autos hier durchsetzen, dürfte der Preis entscheiden, das Design ist wenig spektakulär. DK