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Entwicklung im Rekordtempo

In nur wenigen Monaten muss in der Formula Student ein Rennauto entwickelt und gebaut werden. Das Team der TU München hat heuer einen der wichtigsten Preise gewonnen. Drei Teammitglieder erzählen, worauf es ankommt.

25.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

Foto: Sebastian Oppenheimer

Ohne Praxis-Erfahrung findet heutzutage kaum noch ein Student einen Job. Und wer bei einem Rennteam anheuern möchte - zum Beispiel in der Formel 1 oder der Langstrecken-WM -, aber keinen Schraubenzieher halten kann, der dürfte chancenlos sein. Bestens geeignet, um die graue Uni-Theorie in renntaugliches Praxiswissen umzusetzen, ist die Formula Student. Die Aufgabe: innerhalb eines Jahres ein Auto von Grund auf zu konstruieren, zu bauen und damit in verschiedenen Renn-Disziplinen möglichst gut abzuschneiden. Eine besondere Herausforderung, denn die Studenten sollen nicht nur im stillen Kämmerchen tüfteln und schrauben - sie müssen sich komplett selbst organisieren: ein Team zusammenstellen und Geld und Teile beschaffen. Einen der wichtigsten Wettbewerbe hat heuer das Team TUfast von der Technischen Universität München mit seinem Verbrenner-Auto gewonnen: den "Grand Prix" in Hockenheim. Unserer Zeitung haben die drei Teamleiter Franz Beck (23), Nico Trümper (23) und Thomas Geiger (25) erzählt, worauf es ankommt.

DAS TEAM

Die Anzahl der Mitglieder unterscheidet sich natürlich von Hochschule zu Hochschule. Das TUfast-Team besteht in der Regel aus 70 bis 80 Studenten. Normalerweise machen jede Saison zu drei Vierteln neue Leute mit, ein Viertel besteht aus Studenten, die schon einmal eine Saison absolviert haben. Die Stellen werden im Internet ausgeschrieben. Gesucht werden beispielsweise Bauteilverantwortliche für Radträger, Radnaben oder Chassis. Wie in einer Firma müssen sich Interessierte bewerben und werden in einem Gespräch getestet. Das größte Problem ist die Zeit: "Man muss den Leuten sehr schnell das Wissen vermitteln, das sie brauchen, um ihr Teil zu konstruieren", sagt Beck, der 2016 die Gesamtleitung des Teams innehatte. Der 23-Jährige, der im 7. Semester Technische BWL studiert, stammt aus Lippertshofen, einem Ortsteil von Gaimersheim im Kreis Eichstätt. Wer mitmacht, sagt er, müsse sich im Klaren sein, worauf er sich einlasse. Mindestens 20 Stunden pro Woche muss ein Bauteilverantwortlicher investieren, Bereichsleiter noch wesentlich mehr. "Im Prinzip muss man dann ein Jahr das Studium sausen lassen", sagt Maschinenbaustudent Geiger. "Die Formula Student wird ein Jahr lang zum Lebensinhalt - man muss auch mal im Büro schlafen."

DAS AUTO

Es klingt komisch - aber was den Bau des Autos angeht, ist das Reglement relativ frei. In erster Linie bestimmen die gefahrenen Strecken, wie ein Formula-Student-Auto aussieht, denn die Kurse sind meist extrem eng. Ein riesiges Auto mit gigantischer Motorleistung hieße praktisch mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Vorgegeben sind beispielsweise ein Mindestradstand, eine Mindestspurweite und die maximale Höhe. Außerdem gibt es maximale Maße für Aerodynamikteile, damit nicht zu viel Abtrieb erzeugt werden kann und die auf den Fahrer wirkenden Kräfte nicht zu groß werden. Das Ergebnis sind völlig unterschiedliche Fahrzeugkonzepte. "Kein Auto ist wie das andere", sagt Beck. "Das macht das Ganze so interessant." Während zum Beispiel manche Teams auf Vierzylinder-Motoren setzen, haben die TUfast-Teammitglieder einen Einzylinder von KTM verbaut. Dessen 60 PS reichten zum Sieg am Hockenheimring, weil das Auto komplett fahrfertig gerade einmal 160 Kilogramm wiegt. Das geringe Gewicht wird durch Leichtbau erreicht: Nahezu das ganze Auto besteht aus Carbon - sieht man mal von Bremsen, Motor und Abgas-Anlage ab. Für die Sicherheit sorgen ein Crashelement in der Nase, Überrollbügel und die Fahrer-Ausrüstung. "Vom Anzug bis zum Helm muss alles FIA-zertifiziert sein", sagt Trümper. Gefahren wird übrigens nie direkt gegeneinander, sondern nur über den Zeitvergleich.

DIE SPONSOREN

Weil das TUfast-Team kein direkter Uni-Ableger, sondern ein eigener Verein ist, müssen die Studenten zusehen, wie sie an Geld, Material und Fertigungsdienstleister kommen. Und das kann extrem mühsam sein. Etwa jede zehnte angefragte Firma unterstützt das Team. "Man bekommt viele Absagen", sagt Beck. "Aber man muss trotzdem am Ball bleiben." Ein schlagkräftiges Argument ist inzwischen, dass auch die Sponsoren mit ein wenig Glück finanziell profitieren. Weil die Autos der Studenten auch von professionellen Rennstall-Chefs unter die Lupe genommen werden, winken eventuell lukrative Aufträge. Denn manche kreative Lösung fällt auch bei den "Großen" auf fruchtbaren Boden. Vor allem die mittelständischen Firmen seien gar nicht hoch genug einzuschätzen, sagt Geiger. Zum Beispiel wenn die den Studenten einen Tag lang eine Maschine zur Verfügung stellen. "Da haben wir tolle Geschichten erlebt."

DIE FAHRDISZIPLINEN

"Die Rennstrecken sind sehr schmal", sagt Geiger. "Deshalb kommt es vor allem auf die Querdynamik an." Im Vergleich zu professionellen Rennserien sind die Studenten relativ langsam unterwegs. "Die Höchstgeschwindigkeit liegt etwa bei 120 km/h", sagt Geiger. Unter anderem gibt es ein 75-Meter-Beschleunigungsrennen, eine Fahrt in der "liegenden Acht", einen Rundkurs und ein Endurance-Rennen über 22 Kilometer. "Irgendwo muss man Kompromisse machen", sagt Beck. In Hockenheim waren 75 Verbrenner-Teams am Start - 500 hatten sich beworben. "Für viele ist schon die Teilnahme ein Erfolg", sagt Geiger. Am Ende lag das Münchner Team ganz vorne - zum ersten Mal seit der Vereinsgründung 2002. Alle drei Teamleiter wollen am liebsten einmal in einem Motorsport-Team arbeiten. Mit ihrem diesjährigen Sieg stehen die Chancen wohl nicht schlecht. ‹ŒDK