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"Dieselgate war ein heilsamer Schock"

17.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:47 Uhr

So stellt sich Mercedes ein E-SUV vor: Auf dem Autosalon in Paris zeigten die Stuttgarter vergangenes Jahr den "Generation EQ". - Foto: Mercedes

Der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler ist der Ansicht, dass sich die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, grundlegend ändern muss. Elektroautos sieht er künftig nur als Zubringer für Langstreckenverkehrsmittel wie die Bahn.

Herr Rammler, die Ankündigungen der Hersteller für die Produktion neuer Elektroauto-Modelle haben im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Bei den Premium-Autobauern steht vor allem das E-SUV hoch im Kurs. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg in die Mobilität der Zukunft?

Stephan Rammler: In keiner Weise. Was wir heute tun, ist, den neuen technologischen Wein der Elektromobilität in die alten Schläuche der überkommenen Nutzungskultur zu gießen. Wir glauben, wir können alles so lassen, wie es ist, und brauchen nur den Verbrennungsmotor gegen einen Elektromotor auszutauschen und noch eine Batterie dazuzupacken. Und auf diese Weise könnten wir 41 Millionen Verbrennungsmotor-Fahrzeuge durch 41 Millionen elektrische Fahrzeuge ersetzen. Das ist natürlich totaler Unsinn.

 

Warum?

Rammler: Weil auch Elektrofahrzeuge einen großen ökologischen Rucksack haben. Sie werden mit seltenen Ressourcen gebaut, die nicht unendlich verfügbar sind. Außerdem dürften in E-Fahrzeuge nicht länger fossile Energien fließen - etwa in Form von Strom aus Kohlekraftwerken. Es müssten zu 100 Prozent regenerative Energien sein. Im Übrigen ist es aus meiner Sicht Blödsinn, E-Fahrzeuge auf dieselben technologischen Nutzungsprofile zu trimmen wie Verbrennungsfahrzeuge - sprich durch große Batterien Reichweiten von mehr als 500 Kilometern zu ermöglichen.

 

Was brauchen wir aus Ihrer Sicht?

Rammler: Eine komplette Systeminnovation. Natürlich brauchen wir E-Fahrzeuge - aber gleichzeitig müssen wir diese anders nutzen. Wir müssen die Anzahl der Fahrzeuge reduzieren. Und das schaffen wir nur, indem wir neue Konzepte - wie das "Teilen" von Mobilität - vorantreiben, also beispielsweise Carsharing und Ridesharing. Ebenso wichtig ist die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln wie etwa Bahn oder Flugzeug - damit sollten die weiten Strecken zurückgelegt werden.

 

Müsste auch der ÖPNV stärker digitalisiert werden, um attraktiver zu werden? Etwa beim Bezahlen?

Rammler: Klar. Im Augenblick reden wir über die Digitalisierung der Mobilität - meinen damit aber die Digitalisierung der Automobilität. Mit digitalen Techniken kann auch der öffentliche Verkehr so attraktiv werden, dass er in der Tat eine Konkurrenz zum privaten Automobil wird - gerade in urbanen Regionen. Es geht um einen völligen Paradigmenwechsel in der Mobilität, die Grenzen verschwimmen. Wir werden in Zukunft individualisiertere öffentliche Verkehre haben - und öffentlichere Individualverkehre.

 

Noch mal zur E-Mobilität: Beim E-Auto böte sich nun die Möglichkeit einer völlig neuen Gestaltung: Man hat keinen Verbrennungsmotor mehr, kein Getriebe und so weiter. Wieso bleiben die Autobauer denn bei den üblichen Formen?

Rammler: Ich glaube, diese Fokussierung auf die Hersteller ist falsch. In einer Marktwirtschaft ist es die Aufgabe von Unternehmen, die Produkte anzubieten, die vom Konsumenten nachgefragt werden. Letzten Endes steckt hinter der Problematik eine gewisse Bigotterie der Autokäufer: Auf der einen Seite wollen sie eine saubere Umwelt, auf der anderen Seite greifen sie aber vermehrt zu PS-starken Fahrzeugen und SUVs.

 

Was muss passieren, damit die Menschen umdenken?

Rammler: Eine Möglichkeit wäre, durch Fördermaßnahmen die Nutzungsbedingungen zu verbessern. Also etwa durch die Bereitstellung günstiger oder kostenloser Parkplätze oder durch Steuerbefreiungen. Auch eine Ausweitung des Strom-Tankstellennetzes würde E-Autos für Konsumenten attraktiver machen. Das alles findet aber noch nicht in dem Maße statt, wie wir das bräuchten. Wäre das der Fall, würde auch die Industrie anfangen, sich mit ihren Produkten anders aufzustellen.

 

Es gibt Fachleute, die stattdessen "Zwangsmaßnahmen" fordern, um den Wandel zu beschleunigen.

Rammler: Gemessen an den Problemen, die durch mit fossilen Energien betriebene Fahrzeuge entstehen, wäre jede Form von Zwangsmaßnahme eigentlich jetzt schon gerechtfertigt. Im Grunde haben wir uns mit dem Verbrennungsmotor-Fahrzeug über Jahrzehnte an ein Produkt gewöhnt, das wir nach heutigen geltenden Regeln eigentlich niemals zulassen würden. China zum Beispiel arbeitet erfolgreich mit Zwangsmaßnahmen.

 

Und warum wird das hierzulande nicht gemacht?

Rammler: Bei uns haben die Politiker gerade im Verkehrsbereich eine unglaubliche Angst, den Wähler zu verprellen. Denken Sie an den damaligen Vorschlag der Grünen, fünf Mark für den Liter Benzin zu verlangen. Das war mutig, das ging in die richtige Richtung - aber die Partei ist vom Wähler extrem abgestraft worden. Die Frage ist also, ob Politik wollen kann, was sie wollen müsste - und ich glaube, das traut sie sich nicht.

 

Eine kleine Fördermaßnahme wurde ja mit der E-Auto-Prämie beschlossen . . .

Rammler: . . . und die war total wirkungslos. Solche Prämien machen erst dann Sinn, wenn die Preise für Elektrofahrzeuge niedriger sind. Wenn Sie von Fahrzeugen ab 30 000 Euro aufwärts ausgehen, dann haben Sie es mit einer Käufergruppe zu tun, der 4000 Euro relativ egal sind. Im Massenmarkt bei Preisen von 15 000 bis 20 000 Euro ist eine solche Kaufprämie dagegen tatsächlich ein interessanter Anreiz für die Konsumenten.

 

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass E-Autos in absehbarer Zeit wesentlich billiger werden?

Rammler: Man könnte diesen Vorgang beschleunigen, indem der Staat große Flotten beschafft. Sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierungen haben eigene Flotten. Und es gibt halbstaatliche Flotten wie die von der Bundeswehr, der Bahn, der Diakonie und so weiter. Dann würde bei den Herstellern die sogenannte Kostendegression einsetzen - und sie könnten billiger produzieren.

 

Haben die Hersteller nicht ein wenig verschlafen, sich eine eigene Ladeinfrastruktur zu schaffen - so wie Tesla?

Rammler: Generell hat die deutsche Automobilindustrie viel zu lange auf den Dieselmotor gesetzt. Nun zeigt sich, dass das nicht funktioniert. Hätte man früher auf E-Mobilität gebaut, hätte man auch früher begriffen, dass diese Henne-Ei-Problematik der Versorgungsinfrastruktur zu lösen wäre. Nun war es aber bislang nicht die Aufgabe der Autoindustrie, sich über ihre Produkte hinaus auch noch um den Funktionsrahmen zu kümmern - denn das haben bislang die Mineralölkonzerne gemacht. Insofern kann man über die Frage diskutieren, ob das jetzt die Aufgabe der Konzerne ist.

 

Was ist Ihre Einschätzung?

Rammler: Ich würde sagen, eine Art Privat-Public-Partnership von Regierung und Unternehmen wäre da ein sinnvoller Weg gewesen - doch das hat sich so nicht entwickelt. Da muss man nun zügig nachlegen.

 

Ist ein solches Schnellladenetz an Autobahnen und Fernstraßen technisch überhaupt problemlos darstellbar?

Rammler: Für diese Hochleistungsladestationen entlang der Autobahnen bräuchten Sie Unmengen von Kupfer. Das kann mir noch keiner richtig erklären, wie das flächendeckend angeboten werden soll.

 

Kann der Abgas-Skandal helfen, den Wandel der Technologien schneller voranzutreiben?

Rammler: Das sehen wir ja jetzt schon. Ohne Dieselgate hätte sich VW wohl nicht so schnell bewegt. Dieselgate war auf lange Sicht ein heilsamer Schock. Die Umgangsweise damit zeigt mir aber, dass VW organisationskulturell noch einen weiten Weg zu gehen hat. Was aber viel eher geholfen hat, ist eine Entscheidung der chinesischen Regierung: Sie zwingt die Autobauer, pro Jahr einen gewissen Anteil der in China abgesetzten Autos als Null-Emissions-Fahrzeuge anzubieten.

 

Schaffen die "traditionellen" Hersteller wirklich den Wandel zu E-Auto-Anbietern und Mobilitätsdienstleistern?

Rammler: Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Wir haben Überkapazitäten im globalen Automobilmarkt. Wir haben bei einzelnen Herstellern Technologiedefizite. Wir haben global eine sich hochgradig differenzierende Marktentwicklung. In China gibt es völlig andere Anforderungen als in den USA. Und die Anforderungen werden immer komplexer. Das alles zusätzlich zum Wandel zum E-Mobilitäts-Hersteller und zum Mobilitätsdienstleister hinzubekommen ist schwierig. Es wird Bereinigungsprozesse geben. Wer weiß, ob am Ende nicht auch die deutschen Autobauer kooperieren müssen. Ich würde im Moment für nichts die Hand ins Feuer legen.

 

Im Moment preisen zumindest die Premiumhersteller das autonome Fahren ein bisschen als das Allheilmittel für die Zukunft an. Wie sehen Sie das: Ist die Technik wirklich schon in ein paar Jahren so weit?

Rammler: Nein. Ich bin da sehr skeptisch. Gerade in urbanen Regionen wird das Projekt autonomes Fahren noch viel mehr Zeit brauchen, als das dargestellt wird. Die Situation ist so komplex, dass man das nicht in 10 oder 15 Jahren hinbekommen wird.

 

Kommt der ethische Aspekt bislang nicht zu kurz?

Rammler: Das ist eigentlich nicht unbedingt eine Frage für die Hersteller, sondern für die Regulierungsbehörden. Im Übrigen würden durch das autonome Fahren am Ende sehr viele Menschenleben geschützt. So dass die ethische Frage in den wenigen Fällen, in denen sie noch vorkommt, wahrscheinlich über die quantitative Dimension geklärt werden würde.

 

Was halten Sie von ausgefallenen Mobilitätsideen wie dem Hyperloop?

Rammler: Das gehört zu den Ankündigungsphantasmen der digitalen Branche. Sicher: In den USA, wo es keine alternativen Infrastrukturen gibt, könnte es unter Umständen sinnvoll sein, so ein System aufzubauen. Aber dort, wo wir gut ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel haben, sicher nicht. In Europa haben wir etwa ein extrem gut ausgebautes Bahnnetz. Da brauchen wir keine Konkurrenzstrukturen. Man kann das Netz verbessern und ausbauen. Man muss nicht alles mit Hochtechnologie lösen. Manchmal muss man nur das Bestehende klüger nutzen.

 

Die Fragen stellte

Sebastian Oppenheimer.