Der Abschied vom "Volkswagen"

14.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:07 Uhr

Nobles Cockpit: Im neuen VW Passat gibt es nun auch eine voll digitale Instrumententafel – allerdings nur gegen Aufpreis.

Volkswagen – dieser Markenname trägt eine eindeutige Botschaft in sich: ein Auto für das Volk. Einfach, zuverlässig, praktisch – und vor allem erschwinglich.

Von diesem Pfad sind die Wolfsburger schon länger abgekommen: bessere Technik, gute Verarbeitung, aber eben auch höhere Preise – der Name ist geblieben. Doch beim neuen Passat stellt sich nun wirklich die Frage: Ist das noch ein „Volkswagen“? Neueste Assistenzsysteme, feine Materialien, elegantes Design – all das zeigt: Man will sich nicht mehr mit Ford oder Opel messen. Die Gegner sollen nun BMW 3er und Mercedes C-Klasse sein. Und auch wenn sie es bei VW nicht gerne zugeben: der Audi A4. In Ingolstadt dürfte sich die Begeisterung über diese Strategie in Grenzen halten. Während im oberen Segment die Konzernschwester Porsche angreift, drängelt nun von unten mit VW der nächste Verwandte. Die Audi-Ingenieure werden es mit einem weinenden Auge sehen, dass die VW-Kollegen tief in die noble Technikkiste greifen dürfen und nun auch ein Passat über ein voll digitales Display verfügt – nur wenige Wochen, nachdem es im Audi TT stolz präsentiert wurde. Sicher: Das VW-System hat weniger Rechenpower und wurde optisch angepasst. Aber diese Technik ist eben kein Alleinstellungsmerkmal für Audi mehr.

In die achte Generation des Passat hat VW bis auf sündhaft teure Gimmicks – wie etwa einen Nachtsichtassistenten – alles reingepackt, was technisch derzeit möglich ist: eine City-Notbremsfunktion, die nun auch Fußgänger erkennt, ein Head-up-Display (allerdings auf einer Plexiglasscheibe), einen Stauassistenten, der im Stop-and-go-Verkehr das lästige Anfahren und Abbremsen erledigt und dabei die Distanz zum Vordermann hält – und ein Infotainment, das sich auf Anhieb kinderleicht bedienen lässt und zudem per „Mirror Link“ Apps von Android-Smartphones darstellen kann.

Eine Weltneuheit ist der Trailer-Assist – ein System, das dem Fahrer die Lenkarbeit beim Einparken von Anhängern abnimmt. Dabei dient der Drehregler für die elektrischen Außenspiegel als eine Art Joystick. Mit ihm befiehlt man dem Auto, den Anhänger beim Rückwärtsfahren in einen bestimmten Winkel zu befördern oder exakt geradeaus zu lenken. Den Hänger-Winkel erkennt das System über die Rückfahrkamera. Im Test war das Ergebnis durchaus beeindruckend: Man nimmt den Fuß von der Bremse, das Auto rollt, das Lenkrad dreht sich wie von Geisterhand, und der Hänger macht das, was er soll. Eine echte Erleichterung, die im Familienurlaub mit dem Wohnwagen möglicherweise viel Streit erspart.

Während VW unter der Haube ein wahres Technik-Feuerwerk abbrennt, bleibt man beim Äußeren beim Bewährten. Mit viel Fingerspitzengefühl haben die Designer noch einmal nachgeschliffen: Der Passat wirkt schlicht und kühl, strahlt aber auch eine zeitlose Eleganz aus. Mit den dicken Chromstreben im Grill, die in die Scheinwerfer übergehen, darf das neue Modell jetzt einen Hauch bulliger wirken. Mehr aber auch nicht. Auffallen um jeden Preis ist nicht die Aufgabe des Passat. Ganz im Gegenteil: Dieser VW ist immer noch das klassische Auto für den Außendienstler. Und der Firmenvertreter soll ja beim Kunden nicht den Eindruck machen, er schwimme im Geld – was vielleicht ein Mercedes ausstrahlen würde. Die einzige optische Extravaganz ist eigentlich ein Sicherheitsfeature, das aber nur beim Fahren sichtbar ist: Beim Bremsen wechselt die horizontale Rückleuchtengrafik in die Vertikale und warnt somit den Hintermann.

Ein ähnliches Spiel im Innenraum: Zwar macht der Passat hier einen noblen Eindruck, gleichzeitig ist er aber auch sehr nüchtern gestaltet. Das schnörkellose Design des Grills wird in den Lüftungsdüsen fortgesetzt: Sie erstrecken sich einmal quer über das Armaturenbrett – lediglich unterbrochen von den Instrumenten. Der Qualitätseindruck überzeugt: feine Kunststoffe, makellose Verarbeitung. Der Abstand zu BMW, Mercedes und Audi ist auf ein Minimum geschrumpft.

Angeboten wird der Passat mit zehn Motorenvarianten von 120 bis 280 PS – sogar einen Plug-in-Hybriden namens Passat GTE wird es geben. Für eine Testfahrt standen unter anderem der TSI sowie der TDI mit jeweils 150 PS bereit. Beide machen ihre Sache gut, vor allem der TSI überzeugt mit seiner geringen Lautstärke. Auch der neue 2.0-Liter-Biturbo-TDI mit 240 PS ließ sich testen. Ihn gibt es nur mit serienmäßigem Allradantrieb und 7-Gang-Automatik. Seine 500 Nm Drehmoment sorgen für kräftigen Schub, jederzeit stehen ordentliche Kraftreserven parat – Trotzdem: Auf der Straße wirkt das Paket nicht so bärenstark wie auf dem Papier. Man merkt dem Motor an, dass er über 1700 Kilo nach vorne treiben muss.

Verbesserungen gibt es auch beim Platzangebot: Obwohl der Passat in der Länge gleich bliebt streckten die Ingenieure den Radstand um 79 mm – dadurch bietet sich dem Fondpassagier eine Beinfreiheit, wie sie kaum ein Konkurrent bieten kann. In diesem Auto lässt sich auf der Rücksitzbank eine längere Urlaubsreise entspannt genießen. Auch mitnehmen dürfen die Reisenden mehr: Beim Variant (in Deutschland etwa 90 Prozent Marktanteil) wuchs das Kofferraumvolumen um 47 auf 650 Liter. Klappt man die Rücksitze um – die sich praktischerweise vom Kofferraum aus per Schalter umwerfen lassen –, hat man 1780 Liter zur Verfügung.

Doch nicht nur bei der Technik nähert man sich zielstrebig dem Premium-Sektor an. Die Limousine mit dem 150 PS starken TDI und Sechsgang-Handschaltung beginnt bei 30 250 Euro. Das Topmodell, der 240 PS starke TDI mit Allradantrieb und 7-Gang-DSG startet als Variant bei 44 625 Euro. Mit ein paar Extras – von denen es mehr als reichlich gibt – lässt sich leicht die 50 000-Euro-Grenze knacken.

Fazit: Der Passat bewegt sich nahe an der technischen Perfektion. Kritikpunkte sind oft eher eine Geschmacksfrage, wie etwa die sehr leichtgängige Lenkung. Noch erreicht er – zum Beispiel bei der Haptik – nicht das hohe Audi-Niveau. Doch er kommt gefährlich nahe und klopft schon mal selbstbewusst an. Ab November steht der neue Passat bei den Händlern. DK