Deutschland muss sich selbst um seinen Strom kümmern

11.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr

Zum Leserbrief "Stadträte sollen auch an die Stromrechnung der Bürger denken" von Richard Stöcker (SZ vom 6. Februar):

Deutschland ist Europameister beim Stromexport. Rund zehn Prozent des in Deutschland produzierten Stroms werden exportiert. Insgesamt wurde damit 2016 ein Handelbilanzüberschuss von über zwei Milliarden Euro erzielt. Wie passt dies nun zu der Aussage, dass wir unseren Strom ins Ausland verschenken und ihn bei Bedarf teuer zurückkaufen?

Dazu muss man die Mechanismen des internationalen Stromhandels etwas genauer ansehen. Dieser Stromhandel gliedert sich vereinfacht in zwei Teile: den Terminhandel und den Spotmarkt. Der überwiegende Teil des Stroms wird im Terminhandel ver- beziehungsweise gekauft. Im Terminhandel kann zum Beispiel eine Fabrik in Österreich heute ab 1. Juli für drei Tage eine Leistung von zwei Megawatt kaufen. Das entspricht 144 Megawattstunden. Verkauft wird diese Strommenge zum Beispiel von einem Braunkohlekraftwerk in Nordrhein-Westfalen. Der Preis dafür wird heute festgelegt.

Im Spotmarkt hingegen wird immer kurzfristig gehandelt, zum Beispiel ein Megawatt Strom für die nächste Stunde. Dieser Preis ist sehr variabel und hier kommt es kurzfristig auch zu negativen Preisen. Diese Spotmarktpreise haben jedoch keinen Einfluss auf die im Terminhandel bereits verkauften Strommengen und deshalb verdient die deutsche Stromwirtschaft auch bei negativen Spotmarktpreisen Geld. Die Aussage, dass Offshoreanlagen effektiver als ein paar örtliche Anlagen seien, ist so auch nicht gültig. In sogenannten Schwachwindgebieten werden andere Anlagen gebaut als Offshore. Das Prinzip ist dasselbe wie bei Segelschiffen. Dort werden bei schwachem Wind große Segel gesetzt und bei starkem Wind kleine. Analog dazu haben sogenannte Schwachwindanlagen größere Rotoren, um dem Wind mehr Angriffsfläche zu bieten. Dass Windräder hier rentabel sind, sieht man an den Anlagen in Gerolsbach, die den prognostizierten Ertrag übertreffen. Zudem muss man bei den Anlagen im Norden noch berücksichtigen, dass der Strom zu uns transportiert werden muss. Dazu laufen im Moment Planungen für sogenannte Stromautobahnen. Die Kosten werden auf über zehn Milliarden Euro geschätzt. Und man weiß ja von anderen Großprojekten, wie zuverlässig solche Zahlen sind. Bezahlt werden diese Stromleitungen von uns allen über die Netzentgelte.

Die Liste der Staaten mit Kernkraftwerken ist leider auch falsch. Polen hat keine Kernkraftwerke. Die neuen Kraftwerksblöcke in Hinkley Point werden auch noch nicht gebaut. Sie sind vielmehr noch in der Planungsphase, da die Finanzierung immer noch nicht gesichert ist. Dies, obwohl der britische Staat einen deutlich höheren Abnahmepreis garantiert, als ein Windradbetreiber in Deutschland erhält. Wenn man die beiden derzeit in Westeuropa in Bau befindlichen Kernkraftwerke näher betrachtet, wird klar, wieso die Finanzierung von Hinkley Point problematisch ist. Der finnische Reaktor Olkiluoto 3 sollte ursprünglich drei Milliarden Euro kosten und 2009 in Betrieb gehen. Inzwischen werden die Kosten auf über neun Milliarden Euro geschätzt und die Inbetriebnahme soll 2019 erfolgen.

Ähnlich sieht es mit dem in Bau befindlichen französischen Reaktor Flamanville 3 aus. Auch hier haben sich die Baukosten inzwischen verdreifacht und der ursprüngliche Fertigstellungstermin 2012 ist längst abgelaufen. Frankreich wird sein ältestes noch in Betrieb befindliches Kernkraftwerk demnächst abschalten und die Atomreaktoren aus den 70er- und 80er-Jahren werden auch nicht ewig laufen, denn der französische Staat hat die Stilllegung von über der Hälfte seiner Kernkraftwerke bis Mitte der 20er-Jahre bereits geplant. Man sieht also: Deutschland muss sich selbst um seine Stromversorgung kümmern. Man kann nicht einfach sagen: Bei mir nicht.

Reinhold Deuter

Aresing