Schrobenhausen
Er ist dann mal weg

Kim Lorenzen hat seinen Job als Ingenieur gekündigt, um von Schrobenhausen nach Spanien zu laufen

27.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:54 Uhr

Foto: Annika Schneider

Schrobenhausen (SZ) 2500 Kilometer zu Fuß auf dem Jakobsweg: Dieses Projekt hat sich Kim Lorenzen vorgenommen. Wenn alles gutgeht, steht der Schrobenhausener im Sommer in Santiago de Compostela. Die Geschichte von einem überzeugten Optimisten mit einer verrückten Idee.

Die Nonne, die ihr Auto durch die Schrobenhausener Innenstadt steuert, lächelt freundlich, als sie den jungen Mann am Straßenrand sieht. Sie ist wohl geübt darin, den normalen Wanderer von dem Wanderer mit Sehnsucht nach mehr zu unterscheiden - dem Pilger.

Falls das Lächeln der Nonne einem vermeintlichen Pilger galt, hat sie richtig getippt: Er heißt Kim Lorenzen und spaziert entspannt auf dem Stadtwall entlang. Es ist ein Probelauf, bevor seine Pilgerreise wirklich losgeht. Auf seinem Rucksack glänzt ein Solarpanel, in der Hand trägt er eine kleine Kamera. "Ich habe extra das Filmen geübt", sagt Kim und richtet das Objektiv beim Erzählen auf sich selbst. "Ramona" steht in dicken Strichen auf der Kamera. In der anderen Hand trägt der 31-Jährige einen geschnitzten Wanderstab. "Der Stock heißt Hubert 1.0, der Hut Kurt und der Rucksack Elisabeth", stellt Kim seine Begleiter vor. Er gewöhnt sich besser an die Namen, denn die Wanderutensilien sind in den nächsten Monaten seine einzigen Begleiter. Ab Donnerstag will Kim Lorenzen von Schrobenhausen bis nach Santiago de Compostela wandern. 2500 Kilometer. Zu Fuß.

Wie er auf so eine Idee kommt? "Ich habe in den letzten Jahren nur das gemacht, was ich nie wollte", sagt Kim. Damit meint er vor allem: Geld verdienen und Verantwortung tragen. Zuletzt hat Kim, ein gebürtiger Nordfriese, eine Stellung als Ingenieur bei der Firma Bauer gehabt, gut bezahlt. Davor ein klassischer Werdegang: Hauptschule, Fachoberschule, Wehrdienst bei der Marine, Ausbildung zum Elektroinstallateur, Studium der Elektrotechnik, die erste Anstellung. Kim war immer einer der Jüngsten, hat seine Karriere fix durchgezogen. Dann saß er da mit seinem Geld und dachte sich: Eigentlich brauche ich doch gar nichts.

Die erste verrückte Idee, die Kim danach hatte, musste er schnell wieder verwerfen. Zu Fuß um die Welt zu laufen hätte über 20 Jahre gedauert. Stattdessen geht es jetzt auf dem Jakobsweg nach Spanien. Sein Auto hat Kim Lorenzen verkauft, der Abschied von seiner Freundin steht kurz bevor. Wie lange er brauchen wird bis zu seinem Ziel? Kim ist das egal, er will abschalten, entschleunigen. Einige Freunde haben ihn gefragt, warum er nicht mit dem Fahrrad fährt, das geht schließlich schneller. "Die haben das System nicht verstanden", sagt Kim und runzelt irritiert die Stirn.

Bei seinem Probelauf ist er inzwischen an der Paar angekommen. Energisch reiht er Schritt an Schritt. 30 Kilometer am Tag will er schaffen, später vielleicht mehr. Wenn er das Tempo bis zum Schluss durchhält, braucht er für den Weg rund drei Monate. "Ich schaue, ob ich die geistige Kraft habe, das zu machen", sagt Kim. In seinen Augen blitzt Vorfreude auf die Herausforderung.

Bis jetzt war der junge Mann mit den strohblonden Haaren nie länger im Ausland als bei einem zweiwöchigen Schottlandurlaub. Dafür zieht er das Ding mit dem Jakobsweg jetzt richtig durch. Sein Handy lässt er zu Hause. Jedes Gramm in dem großen Rucksack zählt, nur das Nötigste darf mit: ein Beutel mit Zahnpasta und Hygienesachen, ein Waschlappen, Klebeband, ein Ersatzakku für die Kamera, Briefumschläge, Schreibzeug, Pilgerpass und Ausweis, eine Klorolle, eine Regenjacke, ein wenig Wechselwäsche, ein Hut, ein Schlafsack, eine kleine Wasserflasche und eine Plane gegen den Regen.

"Pilgern heißt, dass man vielen Sachen entsagt", erklärt Kim. Essen will er sich unterwegs kaufen, überwiegend Brot. Übernachten wird er im Freien auf dem blanken Boden. "Ich könnte mir auch jeden Tag ein Hotel nehmen", sagt Kim. Doch darum geht es ihm nicht. Er ist anspruchslos, nennt sich selbst verrückt. Wenn er es ist, dann auf die gute Art. Ob er wieder als Ingenieur anfangen kann, wenn er zurück in Schrobenhausen ist? "Das ist mir schnuppe", sagt Kim entschieden. Er kommt mit wenig aus, das Gehalt eines Elektroinstallateurs reicht ihm.

Kim ist einer, der alles hinterfragt. Einer, der schnell ins Philosophieren gerät. "Eines meiner Probleme: Ich denke zu viel", sagt er. Er spricht von den "Krankheiten der Gesellschaft", der Vereinsamung, dem Egoismus. Seine Wanderung auf dem Jakobsweg soll ein Gegenmodell darstellen, auch wenn Kim im gleichen Atemzug hinzufügt, dass er damit selbst auch irgendwie egoistisch sei. Dass das Pilgern eigentlich Kirchensache ist, spielt für ihn keine Rolle. Ob christlich oder nicht: Alle würden auf ihrem Weg ja doch das Gleiche suchen, sagt er.

An seinem Rucksack baumelt eine weiße Muschel, seit Jahrhunderten Symbol der Jakobspilger. Ergänzt wird sie von einem Plakat, das sich Kim hinten an sein Gepäck geheftet hat, darauf die Symbole der neuen Zeit: die Icons von sozialen Netzwerken. Kim will, dass Freunde und Bekannte seinen Weg virtuell verfolgen können. Auf seinem Youtube-Kanal "Xavor Salunia" erklärt er in kleinen Videos, warum er losgeht und was er mitnimmt. Bei Facebook zeigt er auf dem Profil "Jakobsweg Schrobenhausen Santiago" seinen nagelneuen Pilgerpass. Sobald er auf dem Weg ist, lädt eine Freundin jede Woche aktuelle Filme hoch. Kim will unterwegs Menschen interviewen, auch wenn er sich noch nicht sicher ist, wie das klappt. Ihm falle es nicht so leicht, fremde Leute anzusprechen, sagt er.

Dass Kim sich auf seine Abenteuerreise freut, ist trotzdem nicht zu übersehen. Zwei Mal ist er in weniger als sechs Stunden von Neuburg nach Schrobenhausen gewandert, hat danach sein Gepäck noch einmal umgepackt und aussortiert. Einmal hat es in Strömen geregnet, aber Rucksack und Kamera haben dichtgehalten. Am Donnerstag wird es nun ernst. Dann marschiert Kim am frühen Morgen los und will am ersten Tag mindestens bis Friedberg kommen. "Ich kann das", sagt er voller Überzeugung. "Ich weiß, dass das geht." Sein Blick folgt dem Pfeil, der den Jakobsweg weist. Auf Kim Lorenzen warten 2500 Kilometer. Zu Fuß.