Schrobenhausen
Wie der Jazz die NS-Zeit überstand

Moderiertes Konzert am Gymnasium gab Schülern Einblicke in die Bedrohung von Musikern und Fans im Dritten Reich

15.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

So klang das damals: Die Band um Vibraphonist Tizian Jost und Pianist Bernhard Pichl spielte Titel verfolgter Jazzmusiker. - Foto: De Pascale

Schrobenhausen (SZ) "Jazz in der NS-Zeit": Vertreter der Musikhochschulen München und Würzburg gaben Schrobenhausener Gymnasiasten Einblick in die Stigmatisierung von Jazzmusikern und -fans während des Naziregimes - und wie diese sich dagegen zur Wehr setzten. Und es gab Jazz. Richtig guten.

Genau die Musik zu hören, oder sogar selber zu machen, die einem etwas gibt, ob Volksmusik oder Motown, Pop oder Death Metal - wer würde darauf verzichten wollen? Unvorstellbar, besonders für jüngere Generationen, dass in der NS-Zeit allein der Musikgeschmack reichte, dass mehrere Jahre Konzentrationslager, lebenslanges Studierverbot oder der Einzug des Vermögens drohte. Davon berichtet Jazzpianist Bernhard Pichl Schülern der zehnten bis zwölften Klassen in der Aula des Schrobenhausener Gymnasiums. "Soziale Ächtung war der Plan", sagt Pichl.

Nachdem die Big Band des Gymnasiums unter neuer Leitung von Bernhard Förstl in die beiden nicht alltäglichen Unterrichtsstunden eingestimmt hatte, spannt Pichl einen Bogen von den Anfängen des Jazz im Süden der Vereinigten Staaten, erzählt auch davon, wie die Musik von Benny Goodman und Co. Anfang der 20er-Jahre nach Europa schwappte. "Es war die Popmusik der damaligen Zeit." Neue Töne, mit denen viele etwas anfangen konnten - und viele nicht. Jene Kreise etwa, die in Zeiten der Weimarer Republik wirkten, und die neuen Kunstformen generell mit größter Skepsis begegneten. Zeiten, in denen die Rede davon war, "die Verrottung der Kunst zu bekämpfen". Bernhard Pichl berichtet auch davon, wie nach Machtergreifung der Nationalsozialisten der Versuch der Gleichschaltung immer weiter vorangetrieben wurde, das Saxofon als "abartig" eingestuft, Juden als "kulturzerstörerische Rasse" angesehen und Musik für die eigenen Ideologien missbraucht wurde. Keineswegs sei beispielsweise der Dur-Dreiklang wie behauptet "urgermanischen" Ursprungs gewesen - "den gab es Jahrhunderte vorher schon", versichert Pichl. Auch habe sich die Kompetenz der Nationalsozialisten in Grenzen gehalten: "Die wussten gar nicht: Ist das Jazz"

Ein generelles Verbot habe es zwar nicht gegeben, erzählt Pichl den Schrobenhausener Gymnasiasten, allerdings ein Verbot des "Nigger-Jazz" im Rundfunk. Und auf lokaler Ebene sei alles davon abhängig gewesen, "welcher Parteibonze" eben grade zuständig war.

Es gab Kontrollgänge der Gestapo - vor denen sich die Musiker mit Bauernschläue schützten. So ist von Schlagzeuger Freddie Brocksieper überliefert, wie sich die Musiker damals zu helfen wussten: "Wir haben viele Sachen verschleiert." Und zwar ebenso simpel wie clever: Drohte eine Kontrolle durch die Reichsmusikkammer, überklebten die Musiker die Titel ihrer Noten und benannten sie um. So wurde aus dem coolen "Dinah" eben das züchtige "Moosröschen". Genau diese Nummer gibt es dann auch in der Aula des Gymnasiums zu hören; im Second-Line-Beat.

Auch Songs der jüdischen Komponistin Nellie Casman oder ein cooles "In the mood" von Glen Miller bringt die Band um Pianist Bernhard Pichl und Vibrafonist Tizian Jost ins Schrobenhausener Gymnasium mit - und hält so die Erinnerung an die Musik während des NS-Regimes verfolgter, ermordeter oder mit Berufsverbot drangsalierter Komponisten wach. Nicht zuletzt liefert die Veranstaltung von Europamusicale damit auch diesen Beweis: Den Jazz totzukriegen ist den Nationalsozialisten nicht gelungen.