Schrobenhausen
"Man muss den Menschen ernst nehmen"

SZ TRIFFT Josefine Tyroller, die seit 24 Jahren für die Sozialstation in Schrobenhausen arbeitet

11.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:49 Uhr

Für den Menschen da: Seit 24 Jahren fährt Josefine Tyroller bereits für die Sozialstation Schrobenhausen zu den Menschen, um sie zu pflegen. - Foto: Leurs

Schrobenhausen (SZ) "Mein Vater war ein Wandersmann und mir steckt's auch im Blut." Elsa S. (Name von der Redaktion geändert), 78, singt voller Inbrunst. Zu ihren Füßen singt mit ihr Josefine Tyroller das alte Volkslied und legt ihr währenddessen Stützstrümpfe an. "Elsa hat lange im Chor gesungen", erzählt sie später. "Wenn ich mit ihr singe, ist sie entspannter und ich kann leichter meine Arbeit machen.''

5.43 Uhr. Sozialstation Schrobenhausen. Mitarbeiterzimmer. Die Schicht beginnt für die Pflegerinnen früh. Insgesamt sechs von ihnen werden an diesem Tag um sechs Uhr morgens losfahren. Alle haben einen straffen Zeitplan, der an einer Pinnwand aushängt. 17 Patienten wird Tyroller heute besuchen. Sie wird Wundverbände wechseln, Patienten waschen, das Frühstück für sie zubereiten und Medikamente für die kommenden Tage einteilen. Wie viel Zeit sie dafür jeweils hat, steht auf dem Zeitplan. Für die erste Patientin hat sie 23 Minuten, für die nächste vier Minuten, für den nächsten fünf. Auch wann sie mit ihrer Tour fertig ist, weiß der Plan auf die Minute genau: um 12.51 Uhr.

Josefine Tyroller ist Pflegerin aus Leidenschaft. Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester in München arbeitete sie erst in einem Krankenhaus in Aichach. Doch sie wollte mehr. In mehreren Fortbildungen, etwa über Teamleitung und die Behandlung dementer Menschen, entwickelte sie sich weiter und kam 1992 zur Sozialstation in Schrobenhausen. Dort arbeitet die mittlerweile 60-Jährige bis heute. Die Sozialstation hat 42 feste Mitarbeiter. "Die Atmosphäre ist bei uns sehr kollegial", sagt sie. Auch das sei mitunter ein Grund, dass sie bis heute dort arbeite.

Als die Tour beginnt, ist es draußen noch stockfinster. Das Auto besitzt zwar ein Navigationsgerät, doch das benötigt sie nicht. "Das Navi habe ich im Kopf", sagt sie. In wenigen Minuten ist der erste Zielort erreicht. Dann geht es sehr schnell. Sie steigt aus dem Auto, öffnet die Wohnung, begrüßt die Patientin Marie-Luise K. (Name von der Redaktion geändert) und bereitet alles vor. Zähne putzen, waschen und Kleidung wechseln steht auf dem Programm. Sie nimmt die Zahnpasta und bestreicht damit zwei Zahnbürsten. Marie-Luise K. hat eine Teilzahnprothese. Die putzt Tyroller, während sie die zweite Bürste der Patientin gibt. "Ich möchte, dass sie so viel wie möglich selber macht", erklärt sie. Beim Waschen und Umkleiden findet sich immer Gesprächsstoff. Sie redet über das Wetter und das letzte Spiel der Schanzer. Als Marie-Luise K. fertig angezogen ist, legt die Pflegerin ihr noch ein Halstuch um. "Schön schaust du aus", sagt sie. Marie-Luise lächelt.

"Man muss den Menschen ernst nehmen", sagt Tyroller. "Wenn mir der Patient sagt, wie schön doch die roten Blumen in der Küche sind, obwohl sie in Wirklichkeit gelb sind, antworte ich, dass es sehr schöne rote Blumen sind." Wie viel ihr der Kontakt zu den Menschen bedeutet, zeigt sich bei einer 78-Jährigen, die bereits an starker Demenz leidet. "Leider kommt es zu keinem richtigen Gespräch, da sie vieles um sich herum nicht mehr wahrnimmt", erzählt Tyroller ein wenig traurig. Doch trotz alledem redet sie mit ihr und manchmal reagiert die 78-Jährige darauf.

Dass die Anzahl der Pflegebedürftigen in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark zugenommen hat, kann sie bestätigen. "Als ich bei der Sozialstation angefangen habe, hatten wir zwei Touren täglich. Jetzt sind es sechs bis sieben Touren am Vormittag und zwei Touren am Abend." Vor allem ältere Menschen, die an Demenz erkrankt sind, gebe es immer mehr.

12.24 Uhr. Die heutige Tour ist geschafft und Josefine Tyroller ist wieder in der Sozialstation. Doch Feierabend hat sie noch lange nicht. Vieles muss noch protokolliert werden. Das wird ein bis zwei Stunden dauern. Danach hat sie Feierabend, fährt nach Hause und entspannt sich. Denn morgen geht es wieder früh los.