Schrobenhausen
Farbenrausch in historischem Ambiente

SZ TRIFFT Lieselotte Biersack, die mit ihren 86 Jahren einen Wollladen betreibt

15.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:03 Uhr

Wollladeninhaberin mit Leib und Seele: Lieselotte Biersack betreibt mit ihren 86 Jahren einen gut sortierten Handarbeitsladen mit historischem Ambiente in der Tuchmachergasse. Und das schon seit 1973. - Foto: Staimer

Schrobenhausen (SZ) Mehr als 100 Jahre ist er schon alt, der Wollladen Grassl in der Tuchmachergasse. Damit ist er wohl das älteste noch betriebene Geschäft in der Schrobenhausener Altstadt. Mit ihren 86 Jahren steht Inhaberin Lieselotte Biersack seit 43 Jahren hinter dem Verkaufstresen und freut sich über ihre Kunden, die ihr über die Jahre treu geblieben sind.

"J. Grassl" steht in großen Lettern an der Fassade des Gebäudes geschrieben. Wer den Wollladen durch die nicht minder betagte Tür betritt, befindet sich mitten in einem Farbenrausch aus Wollknäueln und Garnen, die fein säuberlich im historischen Magazinschrank bereitliegen. Es fühlt sich an wie eine Kulisse eines Historienfilms. Mittendrin eine bezaubernde alte Dame. "Lieselotte Biersack", stellt sie sich vor.

"Ich hab' das Geschäft jetzt seit 1973", berichtet sie mit einem Lächeln. Damals habe die begeisterte Handarbeiterin den Laden gemeinsam mit ihrer Mutter Anna Erber und anfangs auch Tochter Ulrike übernommen, die beide genau wie sie dem Umgang mit Strickzeug und Häkelnadel zugetan waren. Ihre Mutter habe noch bis kurz vor ihrem Tod 1999 im Alter von 92 Jahren im Laden gestanden. Seither steht Lieselotte Biersack an sechs Tagen hinter dem Ladentisch, managt Buchhaltung und Logistik.

Die Vorbesitzerin, Ottilie Grassl, habe immer Geschichten aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg erzählt, berichtet die heutige Inhaberin. So alt müsse auch der Laden sein, zu dem früher noch eine Stickerei vis-à-vis gehörte. Die alte Registrierkasse, ein archaisch anmutendes US-Modell aus Ohio, und der Spardosen-Mohr, in den das Trinkgeld der Kunden für Missionszwecke wandert, stammten noch aus der Zeit.

Von Grassl kam auch der Rat, immer Handarbeitsvorschläge aufliegen zu haben. So waren es in den 80er-Jahren Muster von Gobelin-Bildern, die damals im Trend lagen. Auch an der ausgestellten Strickmaschine oder dem bereitliegenden Knüpfteppich wurde interessierten Kunden die Technik demonstriert.

Mit "Stricken macht gesund und glücklich" überschrieben, liegt ein Artikel aus einem Handarbeitsmagazin aufgeschlagen auf dem Tresen. Biersack ist der wandelnde Beweis dafür. Mit den Augen sei das Stricken seit ihrer Operation etwas beschwerlich geworden, doch fürs Sockenstricken reiche es noch, erzählt sie. Fast täglich besuchen sie zwei Freundinnen - die eine vormittags, die andere nachmittags -, um ihr beim Stricken zwischen den Kunden die Zeit zu vertreiben.

Handarbeiten sei ein Saisongeschäft. In der kalten Jahreszeit ziehe es ihre Kunden mehr zum Handarbeitszeug als im Sommer, so Biersacks Beobachtung. Über die Jahre habe es immer wieder verschiedene Strömungen gegeben. War in den 80ern das Stricken in Schule, Universität und sogar im Bundestag en vogue, kam vor drei Jahren die Boshi-Häkel-Phase, erinnert sich Biersack. Ein richtiger Boom sei das gewesen, als selbst junge Männer zu Häkelnadel und Wolle griffen, um die lässigen Kultmützen zu kreieren.

Was in den mehr als 40 Jahren als Wollladenbesitzerin ungebrochen nachgefragt wurde, sei Sockenwolle. Daneben gibt es ein breites Sortiment an Wolle für Schals und Mützen, Trachtenjacken und -westen, Stickgarne und das nötige Handwerkszeug dazu. Die gebürtige Münchnerin legt großen Wert auf Qualität, denn nur dann könne man richtig handarbeiten.

Die betagte Unternehmerin kennt alle Stammkunden mit Namen. Das persönliche Wort und die Anteilnahme seien ihr wichtig. Und schaut mal ein neues Gesicht herein, dann ist man auch schnell in ein herzliches Gespräch vertieft.

Dass in den Schulen immer weniger Stricken und Häkeln vermittelt werde, bedauert Lieselotte Biersack. "Es ist so schade, wenn dieses Wissen verloren geht", findet die sechsfache Großmutter und vierfache Urgroßmutter.

Die Preise hat Lieselotte Biersack alle im Kopf. Und nicht nur die aktuellen, sondern auch teilweise die aus der Anfangszeit. "Der Laden hält geistig fit", offenbart Lieselotte Biersack.